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Die "Kunst" des Lichtspieltheaters
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DieKunst" des Lichtspieltheaters

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sequenterweise auch beim Kino bekämpfen. Denn Theater und Kino stehen künstlerisch durchaus nicht parallel, sie sind vielmehr so verschieden von ein­ander, daß sie überhaupt nicht in einem Atem genannt werden können. Sie verhalten sich ungefähr so zueinander wie plastische Museen zu Panoptiken oder Gemäldegalerien zu Panoramen. Gewiß, es gibt auch im Theater minder­wertige Erzeugnisse, und ich bin der letzte, der schlechte Operetten oder seichte französische Ehebruchskomödien verteidigen möchte. Aber wenn man gesagt hat, ein gutes Kinodrama sei immer noch besser als derartige Erzeugnisse, so muß ich dem, soweit die Dramen in Betracht kommen, entschieden widersprechen. Selbst die dümmste Posse, die ihrem Inhalt nach gar keinen bildenden Wert hat, bedient sich doch wenigstens des Wortes und enthält somit ein gewisses künstle­risches Element. Und sie kann als Aufführung mehr oder weniger gut sein, d. h. charakteristisch und flott gespielt werden. Dann söhnt sich schließlich auch der strenge Kritiker mit ihrem faden Inhalt aus und ist zufrieden, einen harmlos vergnügten Abend verlebt zu haben. Selbst die sexuell anstößigste Operette kann doch musikalisch gut sein und man kann sie graziös spielen und temperamentvoll singen. Das will ja positiv nicht viel besagen, aber es ist doch wenigstens nichts geradezu Negatives, vielmehr etwas, was die de­moralisierende Wirkung des Inhalts abschwächt oder vielleicht gar völlig auf­hebt. Jene jungen halbwüchsigen Burschen dagegen, die allabendlich im Kino­theater die grausigen Verbrecherdramen an sich vorüberziehen lassen und mit stieren Augen und geröteten Wangen, keuchend und schnaufend vor Wollust die Auf­regungen der sensationellen Handlungen dort an der Wand miterleben, das sind unsere künftigen Verbrecher, die Sternickel und Genossen, an denen wir einmal unsere Freude erleben können. Denn ihnen kostet es nur einen Schritt, das besehene, ohne künstlerische Verklärung Gesehene, in die Wirklichkeit zu übersetzen.

Deshalb ist es auch verkehrt, wenn man sagt: der Kino ist doch immer uoch besser als das Spezialitätentheater und der Tingeltangel, deshalb tut man gut, ihn nicht zu beschränken, weil man damit die Menschen nur in den Tingel­tangel treiben würde. Ich gestehe ganz offen, daß ich den Kino in den Vor- führungen, die hier in Frage stehen, für schlechter und gefährlicher halte, als das Spezialitätentheater. Dieses ist in den meisten Nummern seines Repertoirs, S- V. in den Kraft- und Geschicklichkeitsproduktionen durchaus harmlos. Und Mag auch das Kuplet, mag die ganze Poesie des Kabarets manches Anstößige enthalten, es ist doch wenigstens Poesie. Es sind Worte, Gedanken, Verse, zuweilen sogar geistreiche und witzige Verse, die dem Publikum da geboten werden, während der Zuschauer im Kino stumpfsinnig dasitzt und die Vor­führungen nur mit den Augen aufnimmt ganz abgesehen von den häufigen Fällen, wo er sich infolge einer ganz unmöglichen Kunstform vergeblich den Kopf darüber zerbrechen muß, was denn eigentlich gemeint ist.

Ein besonderes Kapitel wäre die Frage des Kinderbesuchs. Doch würde das hier zu weit führen. Genug, daß nach meiner Überzeugung die einzige