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Die "Kunst" des Lichtspieltheaters
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die armen Kinobesitzer leiden. Und deshalb hat der Schöpfer des Wortes Schundfilm", Gerichtsassessor Dr. Albert Hellwig (Berlin-Friedenau), in mehreren Artikeln diesen Paragraphen beanstandet, weil er eine ästhetische Zensur ent­halte, zu der der Staat nicht berechtigt sei*).

Hellwig argumentiert folgendermaßen: die verderbliche Wirkung des Schund­films nicht nur auf Kinder, sondern auch auf Erwachsene '(die ja in solchen Fällen der Mehrzahl nach große Kinder sind), steht außer Frage. Es handelt sich nur darum, wieweit der Staat berechtigt ist, aus diesem beklagens­werten Zustand die Folgerung zu ziehen, daß mit Hilfe von Repressivmaßregeln gegen die Schundfilms eingeschritten wird. In dieser Beziehung betont Hellwig nun, daß ein polizeiliches Einschreiten aus ästhetischen Gründen weder mit dem geltenden Recht vereinbar sei, noch daß es wünschenswert sei, die Polizei Zum Zensor in Geschmacksfragen zu machen. In unserem heutigen Rechtsstaat pflege man der Polizei nur diejenigen Befugnisse einzuräumen, die unbedingt erforderlich sind, um das Publikum im öffentlichen Interesse vor denjenigen Gefahren zu schützen, vor denen es sich nicht selbst schützen kann. Daß Kinder wie Erwachsene sich gegen die ethischen und ästhetischen Gefahren des Kinos nicht schützen können, habe Zwar die Erfahrung zur Genüge gelehrt. Dennoch liege bezüglich der ästhetischen Fragen kein dringendes öffentliches Interesse vor, welches staatliche Schutzmaß­nahmen unbedingt erforderlich mache. Gewiß ist die Geschmacksverirrung der Kinodramatik außerordentlich bedauerlich, aber daß dadurch die öffentliche Ord­nung und Sittlichkeit gefährdet werde, wird man nicht behaupten wollen. Wenn Man den Zensor zum Richter über ästhetische Fragen beim Kino mache, müsse man konsequenterweise auch die ästhetische Zensur beim Theater einführen. Ist auch der ethische Schaden, welchen die Schundfilms anrichten, unendlich viel größer als der Schaden, der von ethisch verwerflichen Theaterstücken droht, so kann man doch nicht in Abrede stellen, daß die große Mehrzahl der gehaltlosen Operetten, der faden geistlosen Dramen auch nur ästhetischer Kitsch ist. Vom ästhetischen Standpunkt aus könnte man also eine Reform des Theaters nicht minder wünschen als eine Reform des Kinos, und doch wird niemand daran denken, für die Theaterstücke eine ästhetische Zensur vorzuschlagen. In dieser Beziehung ist aber sicherlich, was dem Theater recht ist, auch dem Kino billig.

Es ist sehr zu bedauern, daß ein Jurist, der sich selbst um die richtige Beurteilung des Schundfilms so verdient gemacht hat wie Hellwig, aus formal juristischen Gründen die einzig richtige Schlußfolgerung, die aus seiner Beurteilung gezogen werden muß, nicht zu ziehen wagt. Das Argument, daß ein polizei-

*) Schwäb, Merkur vom 28. Februar 1913 Nr. 98 und 2. April Nr. 149. Volkswart, Organ des Verbandes der Männervereine zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit, 6-Jahrgang 1913, S. 67ff. Projektion 1913 S. 14S7. Bild und Film, Jahrg. II, S. 169. Zeitschrift für die freiwillige Gerichtsbarkeit und die Gemeindeverwaltung in Württemberg undJugendfürsorge" 1913. Vgl. dagegen die Erwiderung von GauPP in Schwäb. Merkur 12> März Nr. 117, mit der ich vollkommen übereinstimme.