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Grundlagen des Imperialismus
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Grundlagen des Imperialismus

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dürste jahrzehntelanger Arbeit, um allein den landwirtschaftlichen Kulturzustand zu erreichen, den es zur Zeit der Blüte des alten Roms hatte. Aber trotzdem drängt es nach außen und statt die Erträge des Landes für Meliorationen im eigenen Lande zu verwenden, verausgabt es sie in kostspieligen Kolonialkriegen. Sowohl bei Frankreich wie bei Italien mag halb unbewußt der alte Wunsch der Mittelmeerstaateu nach dem Besitz der gegenüberliegenden Küste mitsprechen wie Friedrich Naumanu kürzlich in einem Vortrag ausführte auch kann das Vorgehen Italiens und Frankreichs als ein Gegenstoß gegen das Vordringen der mohammedanischen Welt im Mittelalter aufgefaßt werden. Aber all das wäre nur dann eine völlige Erklärung für das Vorwärtsdrängen Italiens und Frankreichs gewesen, wenn diese beiden Länder sich auf das Mittelmeerbecken beschränkt hätten. Statt dessen hat Frankreich auch sonst zugegriffen: in Kamerun, in Madagaskar, in Jndochina; Italien hat sein Heil in Abessinien versucht und ist noch heute glücklicher Besitzer der wilden Somali­küste und von Erythräa. All diese Neuerwerbungen stehen weder mit Italien noch mit Frankreich in irgend welchem Zusammenhang. All diese Gebiete sind ganz oder zum großen Teil nur aus dem imperialistischen Geist heraus erworben, ohne innere Notwendigkeit.

Dasselbe anscheinend unbegründete Vorwärtsdrängen, das sich aus dem englischen Imperialismus nicht erklären läßt, ist in beinahe noch höherem Maße bei den andern imperialistischen Nationen zu beobachten: bei den Vereinigten . Staaten, bei Rußland, bei Japan. Die Vereinigten Staaten, trotzdem sie die doppelte Menge ihrer jetzigen Bewohner im eigenen Lande zu ernähren ver­möchten, treiben vielleicht die schärfste Ausdehttungspolitik: Kuba. Hawaii, Philippinen, Mittelamerikanische Staaten, Primat in Südamerika alles in einem Jahrzehnt. Dieser Imperialismus läßt sich nicht allein aus einer über­hitzten kapitalistischen Entwicklung heraus erklären. Zwar bedarf die amerika- Nische Industrie fremder Märkte, aber die eroberten Länder sind zum Teil keine geeigneten Absatzgebiete; dann sind die Vereinigten Staaten auch noch nicht zum anlagesuchenden Gläubigerstaat geworden, sondern bedürfen im Gegenteil fremden Geldes in hohem Maße. Und schließlich kann Kapitalismus allein, also rein wirtschaftliche Beweggründe, als treibende Kraft nicht in Frage kommen bei einer Nation, deren politisches Denken und Fühlen in so hohem Maße von einer bewußt zur Waffe des Imperialismus geschmiedeten Lehre wie der Monroedoktrin beeinflußt wird.")

Dasselbe gilt für Rußland. Auch hier ungeheure weite Strecken un- besiedelten Landes, deren intensive Bebauung wohl noch viele Jahrzehnte stiller Arbeit erfordern würde, und doch ein unersättlicher Landhunger, Versuche, die Mandschurei, Mongolei, Persten zu erwerben; überall eine scharf expansive.

*) Ich habe dies des Näheren in einem Aufsatz über die Monroedoktrin (Nr. 15, Jahrgang 1912 der Grenzboten) ausgeführt.