Beitrag 
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Seite
243
Einzelbild herunterladen
 

Maßgebliches und Unmaßgebliches

Schöne Literatur

Arno Holz. DerVater des deutschen Naturalismus" ist in diesen Tagen am 26. April fünfzig Jahre alt geworden. Unsere festesfrohe Zeit, die doch sonst jedem Jubilar soviel Kränze um den Hals schlingt, daß er fast daran ersticken muß, ist in diesem Falle merkwürdig passiv geblieben. Ein Paar unverbindliche Artikelchen, die hier und da aufflatterten; ein flüchtiges, aus Mitleid und Überlegenheit gemischtes Sich-Erinnern; und schließlich eine Geldsammlung, die Ferdinand Avenarius imKunstwart" zugunsten des schwerbedrängten Dichters eingeleitet hat das ist so ziemlich alles geblieben. Unsere großstädtischen Theater, die eigentlich die negsten dortau" gewesen wären, haben sich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, hartnäckig ausgeschwiegen. Der Dichter derSozial­aristokraten", desTraumulus", derSonnen­finsternis" und desJgnorabimus" ist halt nicht mehr Mode. Sein Marktwert ist längst auf ein Minimum gesunken. Er gehört das ist sein Unglück zu den Starrköpfen und eigensinnigen Fanatikern, die sich einer banalen und gedankenlosen Umwelt nicht ein­zufügen gelernt haben. Und die Umwelt rächt sich nun an ihm in ihrer altbewährten noblen Manier: sie schweigt ihn tot, sie sieht über ihn hinweg, und sie läßt ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, in irgendeiner dunklen Ecke verhungern.

Man braucht die Werte des Arno Holz- schen Kunstwerks nicht zu überschätzen, aber man wird feststellen müssen, daß die hartnäckige Totschweige-Politikder Mitwelt in diesem Falle einer schuldhaften Unterlassung gleichkommt. Arno Holzens ganzes Verbrechen liegt darin,

daß er vom ersten bis zum letzten Tage ein Charakter, ein aufrechter und zäher Kerl ge­wesen ist. Er trägt die Ideale seiner auf­rührerischen Jugend noch heute unverkümmert mit sich herum. Er ist der einzige seines Geschlechts, der nicht klein beigegeben hat; der einzige, der noch fest auf dem Boden des ästhetischen Glaubensbekenntnisses von Anno 1890 steht. Aber Charakter und ethischer Wille sind ja in den Augen einer von Wechslern und Fälschern beherrschten Kunstwelt nun ein­mal durchaus anrüchige Dinge. Und da Arno Holz in dem einen springenden Punkte ganz und gar nicht mit sich reden läßt, kann es keinen Einsichtigen wundernehmen, daß er für die betriebsamen Makler unseres Kunst­marktes seit Jahr und Tag ein erledigter und toter Mann ist.

Uns bleibt hier die Frage zu beantworten, ob derkonsequente Naturalist" Arno Holz, dem vor fünfundzwanzig Jahren Gerhart Hauptmann sein Sonnenaufgangs - Drama widmete, über seine historische Bedeutung hinaus noch lebendige Werte repräsentiert. Zweifellos hat das ganze Werk dieses Mannes unter dem mit fast Pedantischem Fanatismus festgehaltenen Naturalistendogma leiden müssen. Das ist die Quelle seiner Tragik, und das ist der Grund, wenn Arno Holz dem Geschlecht von heutzutage nicht immer leicht zugänglich erscheinen will. Wir jüngeren Menschen, die wir die literarischen Sturm- und Drangjahre des vorigen Jahrhunderts nicht leibhaftig miterlebt haben, sind von der gewiß groß­artigen Intoleranz und Einseitigkeit jener Epoche durch Meilen getrennt. Für uns ist das starre Naturalistendogma nun einmal nicht mehr die allein seligmachende Botschaft. Wir sind eben alle Sklaven der Entwicklung