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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

eine gründliche philosophische Bildung ver­fügen, liegt die Gefahr vor, daß die Psycho­logie auf unreifen metaphysischen Anschauungen aufgebaut werden könnte. Auch wäre es durchaus nicht ausgeschlossen, daß sie zu einer mehr technischen als wissenschaftlichen Disziplin würde, die in immer weiter fortschreitender Spezialisierung schließlich handwerksmäßig be­trieben werden könnte. Der ganze Charakter der psychologischen Literatur der Gegenwart widerlegt die Behauptung, daß die vollständige Trennung der Psychologie von der Philosophie in der Wissenschaft selbst bereits eingetreten fei oder bald eintreten werde und demgemäß auch äußerlich ihren Ausdruck finden müsse. Zum Schluß wendet sich Wundt dagegen, daß die gesamte Psychologieexperimentell" genanntwerde,weil die PsychologischeForschung durchaus nicht dort aufhört, wo die Anwend­barkeit experimenteller Methoden ihr Ende erreicht. Die Erforschung der Kinder- und Tierseele kann sich nur in beschränktem Maße des Experimentes bedienen und die Probleme des seelischen Gemeinschaftslebens sind ihm garnicht zugänglich. Wer gerade diese Pro­bleme geben der Psychologie die Weite des Horizontes und führen zu einem Kontakt mit philosophischen Gebieten, etwa der Religions­philosophie, der Ethik usw. Und nur, wenn die Psychologie in jene Zweiggebiete der Philosophie mündet, kann sie, den Anspruch erheben, eine Grundlage der Geisteswissen­schaften zu sein. Ihre vermittelnde Stellung zwischen den empirischen Einzelwissenschaften und der Philosophie vermag sie nur auszu­füllen, wenn sie empirische Geisteswissenschaft und zugleich Teilwissenschaft der Philo­sophie ist.

Wenn Wundt aus den angeführten Gründen eine Ausscheidung der Psychologie aus der Philosophie durchaus nicht wünscht, so gibt er doch zu, daß Mißstände bestehen, die behoben werden müßten. Die Uberburdung der Do­zenten könnte entweder durch eine Vermehrung der ordentlichen Professuren der Philosophie oder durch Heranziehung von Extraordinarien zu bestimmten Lehrfächern unter Teilnahme an den Doktor- und Staatsprüfungen beseitigt werde». Überdies wünscht Wundt, daß an den einzelnen Universitäten durch eine ent­sprechende Ausgestaltung eine größere Viel­

seitigkeit derRichtungen" gepflegt werden möge, als es jetzt der Fall ist. M. N.

Schöne Literatur

Der nackte Mann. Roman von Emil Strauß. S. Fischers Verlag, Berlin. M.4..

Hätte ich ein Gärtelein und ein Häuslein sein, ich tät es Wohl unizäunen und baute an vier Ecken je einen festen Pfosten, viereckig, behaglich; nicht hoch, so daß man sich be­quem drauf lehnen könne zu einem Schwatz mit dem Nachbar, wenn er vorbeigeht. Selbst­redend: ich innen er draußen. Es ist immer heiter für den, der innen steht, daß ein anderer außen ist, selbst wenn es nichts zu bedeuten hat. Die Pfosten müßten aus hell­grünem Sandstein sein, und dann zög ich von einem zum andern aus rotbraunen Reisern einen Staudenhaag; wenn dann der Föhn seinen feuchten Pinsel übers Land streicht, dann schlagen die warmen roten Farbenwellen an das kalte Grün. Ich dächte dann an rot­blauen Flieder, der in einem kaltgrünen Glase stünde. Auch würde ich an dem Haag Schling­bohnen Pflanzen, nur ganz wenige, damit sie ihre launenhaften Windungen deutlich und ungehinderthinzeichnen: hellgrün aufbraunrot, und zum Maien glühten drinn der Bohnen­blust abenteuerlich geschwungene rote Lippen.

Oder man könnte sonst trautsüße Wünsche haben, Wünsche, deren Erfüllung nicht glück­lich, sondern ernst-heiter machen soll, oder vergnügt. An einem Juniabend durch eine süddeutsche kleine Stadt schlendern. Es muß nicht unbedingt Pforzheim sein, wo in schlechtbeleuchteten Straßen hohe Giebel zu den Sternen ragen. Bei alledem hat eigent­lich bloß Pforzheim mit dem lieben Buch von Emil Strauß etwas zu schaffen. Aber das Buch ist nun einmal ganz ungeeignet für eine richtig gehende Besprechung. Ein Künstler von geradezu unheimlicher Kenntnis der eigenen Mittel und seiner Möglichkeiten führt uns müde Menschen liebevoll an tausend großen Erschütterungen worauf Hinz und Kunz seit jeher verfallen vorbeiz aber alle Saiten, die er unangeschlagen läßt, hören wir stets leise mitklingen. Ein reicher Verzichter, biegt er stets vor der Katastrophe ab. Die Tragik aller Dinge ruft er in uns wach, ohne sie in den Ereignissen zum Bruch zu