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Die Rodia : Erzählung aus Ceylon
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Die Rodici

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Einst an einem Abend saß ich in meinem Zimmer. Durch die überall offenen Türen kam ein leichter Luftzug vom nahen Flusse herein. Die Lampe beleuchtete den großen und doch gemütlichen Raum und das Buch, in dem ich las. Es war mein Lieblingswerk, Dantes Divina Comedia. Wie immer, wenn ich dieses Buch aufschlug, so trieb es mich auch jetzt zuerst zu jenen wunderbaren Worten Francescas da Rimini:

Liebe, die alles andre macht vergessen,

Entflammte ihn, als er mich kaum geseh'n,

Die Schönheit siegte, die ich einst besessen I

Liebe läßt Gegenflammen schnell entstehn;

Auch mich betörte sie mit süßem Zwange, >

Selbst in der Hölle will sie nicht vergehn.

Und Liebe führte uns zum Untergange . .

Eine Bewegung ließ mich aufschauen. Mit den Gedanken noch bei Dante, glaubte ich eine Erscheinung zu sehen. Der Türrahmen umschloß ein Bild von wunderbarer Schönheit. Das Licht der Lampe goß seinen Schein auf einen Mann, der seinen Blick gesenkt hatte auf eine Gestalt, die er in den Armen hielt. Es war ein menschlicher Körper, frei von jeder Hülle, der wunderbar geformte Leib eines jungen Weibes. Das glänzend schwarze Haar floß auf den Boden, die langen Wimpern der geschlossenen Augen lagen wie ein duftiger Schleier auf den Wangen. Der eine Arm war heruntergesunken, der andere ruhte zur Seite der jugendlich schwellenden Brust und der schlanken Hüfte. Jetzt erkannte ich meinen singhalesischen Freund.'Widschaja", rief ich, und langsam trat er vor, ohne den Blick von seiner süßen Last zu wenden. Dann legte er den Körper auf das Sofa und, wie plötzlich erwachend, wandte er sich zu mir.

,Schnell, Herr, hilf, sie ist nicht tot, nur ohnmächtig." Ich stürzte in mein Schlafzimmer, riß eine Flasche Kölnisch Wasser vom Brett und eilte zurück, um am Sofa niederzuknien und dem Mädchen Stirn und Schläfen zu reiben. Widschaja half. Und unterdessen erzählte er mir in fliegenden Worten sein Erlebnis.

Er war vom Dorf aufgebrochen, um noch ein Stündchen mit mir zu ver­plaudern.Als ich die Hälfte des Weges am Flusse hinter mir hatte, stand plötzlich dicht vor mir eine Gestalt, ein junges Weib. Ein Schrei klang mir entgegen, sie sprang zur Seite, verschwand hinter der Böschung. Ich stürzte vor, sah sie im seichten Uferwasser kauern, die Arme gegen mich erhoben. Plötzlich hinter ihr in der helleren, den Himmel widerspiegelnden Flut eine glitzernde Furche. Sie kam schnell näher. Ein Krokodil! Ich sprang, rutschte, hinunter, ergriff einen Arm, riß das Weib ans Land. Es war keinen Augen­blick zu früh, ein Klappen und Reißen hinten, das Krokodil hatte, nach der Beute schnappend, das Gewand des Mädchens gefaßt, ihm vom Leibe gerissen. Sie war ohnmächtig, lag am Boden. Ich nahm sie auf und brachte sie zu dir:"