Das stilechte Fremdwort
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binden oder, was dasselbe heißt, die eine Bedeutung in sich soll qualitätslos sein. Indem wir nun diese Qualitätslosigkeit allen Umgangswörtern wesentlich aberkennen, gelangen wir erst zu dem entscheidenden Punkt unserer Ausführungen: der qualitativen Überlegenheit des Fremdworts. Solange es die Sprache nur erweitert, konnte es noch ein notwendiges Übel sein. Es war nicht einzusehen, warum nicht ein deutsches Wort ebensogut dasür eintreten sollte, möglichst sachlich auf seine Bestimmung zugeschnitten*) und ihr durch Übereinkunft**) verbunden. Daß das Fremdwort die wissenschaftliche Sprache verbessert, muß erst eine Anwendung zeigen, wo nicht eine quantitative, sondern eine qualitative Abspaltung der neuen Bedeutung in Frage kommt, d. h. wo ein Neuwort, wie z. B. das von Engel beanstandete Egoi'tät, nicht neben, sondern statt eines Unigangswortes wie Egoismus tritt. Was ist nun dabei der Gewinn für den Erfinder? Er arbeitet reinlich. Ich meine, er macht mit der sprachlichen Neuschöpfung des Begriffs, den er behandeln will, reinen Tisch für den Aufbau seines Gedankengebäudes; es klebt an seinem Material nicht der Schmeiß der von Hand zu Hand gehenden Scheidemünze mit der Ansteckungsgefahr durch Bazillenübertragung. Und diese Gefahr ist mehr als das Phantom einer übertriebenen Ängstlichkeit. Es liegt eine kluge Beobachtung in dem Distichon von „der gebildeten Sprache, die für uns dichtet und denkt." Nur daß dasselbe, was hier dichterisch noch keinen Wert entscheidet, wissenschaftlich bereits eine entscheidende Wertlosigkeit bedeutet. Die Wörter führen in der Tat ein Eigenleben. Sie, die den Gedanken einsargen sollen, daß er dem ewigen Fluß alles Lebendigen entrückt sei, entwickeln plötzlich in unserem Kopfe eine unheimliche Beweglichkeit und nehmen den Gedanken mit auf ihreu eigenwillige« Wegen.
Wie das? Infolge seiner wechselnden Einstellung auf den bunten Hintergrund des Lebens wird das Wort in dem Laienverstcmde, der nicht begrifflich scheidet, sondern phantastisch kombiniert, mit Assoziationen gesättigt, d. h. sein Gedankengehalt wird mit Vorstellungen unlöslich verbunden, die ihm scheinbar denknotwendig anhängen. Indem diese je nach Bildungsgang, Alter usw. verschiedenen Assoziationen dem, der ein solches Wort verwendet, im Augenblick durch den Kopf gehen, drängen sie ihn um so mehr von dem reinen Wortsinn ab, je populärer sie gebildet sind, d. h. je weniger sie mit dem Gedankeniuhalt in einem logischen Zusammenhang stehen. Denn wenn sie auch zunächst nur seine mögliche, psychologische Folge sind, so werden sie doch allmählich in der spontanen Auffassung des Wortes zur Hauptsache erhoben vermöge der wesentlich dichterischen Natur des naiven Bewußtseins, das seine schmückende Tendenz mit Vorliebe dem Nebensächlichen zuwendet. Es ist dieselbe Gefahr, der Schopen-
*') Wie sehr die formale Bildung dieser „.deutschen" Wörter dabei von dem klassische» Vorgang der Fremdwörter abhängig bleibt, darauf macht aufmerksam Paul Cauer in seiner „(Zrammatica militsns" S. 14.
*") Über die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten vgl. jedoch S. 67, Anmerkung.