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Zur Neuverteilung des geschichtlichen Lehrstoffes
Zeit von Mitte des siebzehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart zugrunde zu legen ist, nur soll den Schülern durch einzelne Fragen Gelegenheit gegeben werden, zu zeigen, ob sie sich mit der vergleichenden Geschichtsbetrachtung vertraut gemacht haben und imstande sind, den inneren Zusammenhang größerer Zeitabschnitte zu erkennen.
Als grundlegende Anschauung, auf der sich der ganze Erlaß in seiner inneren Logik aufbaut, wird die folgende galten müssen: die Geschichte sei für unsere Jugend von um so größerer Bedeutung, je näher ihr Gebiet der Gegenwart steht. Der Übelstand, an dem sich der Wille zum Bessern überhaupt entzündet hat, besteht darin, daß im herrschenden Betrieb der Stoff sich gegen Ende des letzten Schuljahres, zumal durch die nötigen Wiederholungen für die Reifeprüfung und durch deren oft frühen Termin, so drängt, daß die jüngste Periode, etwa seit den Befreiungskriegen, nur in größter Eile oder gar nicht mehr erledigt werden kann. Diese Schwierigkeiten müssen allerdings wachsen, wenn allen Ernstes die Absicht besteht, den Wellkrieg, nachdem kaum die Kanonen verhallt sind, bereits zu einem historischen Lehrgegenstand zu erheben. Nicht vom Bedauern ist also die Reform getragen, daß irgendeine Geschichtsepoche hier zu kurz kommt, sondern dies Bedauern weist die ganz besondere Färbung auf. daß es sich um die wesentlichste, gewissermaßen den ganzen Geschichtsunterricht krönende Epoche handelt. Selbstverständlich liegt dabei nicht das objektive Urteil dem Erlaß zugrunde, daß sich das neunzehnte Jahrhundert im Gefüge der Weltgeschichte besonders hervorhebe, sondern nur das subjektive, daß es für uns Gegenwartsmenschen das kennenswerteste sei, dem die Schule deshalb die breiteste Erörterung schulde. Und da die ganze Reform sich von dem Hintergrunde unseres gegenwärtigen nationalen Erlebens abhebt, ist wohl nicht zu viel gesagt, daß diese subjektive Wichtigkeit besonders darauf gegründet wird, daß in der Geschichte des nennzehnten Jahrhunderts die wesentlichen Verständnisvoraussetzungen der jetzigen politischen Lage und ihrer nächsten politischen Aufgaben dem Schüler zu bieten seien.
Seit Nietzsche seine epochemachende Abhandlung: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben schrieb, ist es dem allgemeinen Bewußtsein deutlich geworden, wie vielfältig die subjektiven Zwecke sein können, aus denen heraus wir Geschichte treiben. Über die Bedeutung, die die Geschichte als Vorbild für zukünftige Politik besitzt, dürften die Meinungen noch immer sehr geteilt sein. Bekanntlich gibt es bedeutende Staatsmänner, die behauptet haben, nichts aus der Geschichte haben lernen zu können, und ihnen stehen andere gegenüber, die sich jedenfalls eifrig mit historischen Studien abgegeben haben. Aber der praktische Wert der Geschichte braucht ja nicht in dieser Einengung auf das eigene Geschichtemachen gesehen zu werden. Es bliebe immer noch die Vermittlung des Verständnisses der Gegenwart. Fingieren wir also dies einmal als den einzigen Zweck des geschichtlichen Unterrichts, um so dem Gesichtspunkte am besten gerecht zu werden. Gerade dann aber läßt sich wohl mit guten