Die englische Arbeiterschaft und die Wehrpflicht
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Das könnte manchem unglaublich scheinen, weil ja doch der Wunsch, den Krieg „5is zum Siege" fortzuführen, bei gleichzeitiger Gegnerschaft gegen die Zwangspflicht anscheinend die Überzeugung einschließt, daß es auch so möglich sein werde, die nötige Truppenzahl aufzubringen. Danach scheint die Abneigung gegen den Militärdienst selbst in Arbeiterkreisen gar nicht so groß zu sein. Das ist auch wohl wirklich so. aber die Angst vor den zerrüttenden wirtschaftlichen Einflüssen der Zwangspflicht besteht in voller Stärke neben aller persönlichen Opferwilligkeit. Es ist ein englischer Beurteiler, der das kürzlich sehr deutlich öffentlich ausgesprochen hat. Arnold Benett sagt in der „Daily News", nachdem er den Nachweis geführt hat. wie wenig es für diesen Krieg ausmachen würde, wenn man die allgemeine Wehrpflicht beschließen sollte: „Ich zweifle ernsthaft, ob die organisierte Arbeiterschaft sich beruhigen würde. Ich sehe in dem Versuch der Zwangspflicht die hohe Wahrscheinlichkeit eines furchtbaren Fehlschlages und entsetzlichen Skandals, wenn nicht eines schlimmeren, und damit eines tödlichen Schlages für den Fortschritt der verbündeten Waffen. Ich sehe darin eine belebende Hoffnung für Deutschland."
Der englische Politiker muß die Gefahr der Zerstörung der nationalen Einigkeit Englands auf diesem Wege für sehr dringend erachten, wenn er sich so ausspricht. Für uns klingt das etwas übertrieben. Aber es ist sicher, daß es sich hier um einen empfindlichen Punkt des englischen nationalen Lebens handelt. Ausgeschlossen ist es trotz alledem nicht, daß England als Frucht dieses Krieges die allgemeine Wehrpflicht davonträgt, wenn es auch wenig wahrscheinlich ist. Das wäre dann das, was man in England den „Militarismus" nennt, für dessen Bekämpfung es angeblich das Schwert gezogen hat. Eine der zahlreichen Ironien der Weltgeschichte!