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Geschichtsphilosophische Probleme
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Geschichtsphilosophische Probleme

denke an die dreisprachige Schweiz; auch nicht die Gemeinsamkeit der Zwecke sie hat auch eine Aktiengesellschaft, sondern lediglich das gemeinsame geschichtliche Erleben, das in zweihundertjähriger Zugehörigkeit zum großen französischen Staat die Elsaß-Lothringer zu Franzosen gemacht hat und durch das dieser Krieg an seinem siegreichen Ende sie hoffentlich! zu deutschen Staats­bürgern machen und mit Staatsbewußtsein erfüllen wird.

Nun aber kommt erst zum vierten das, was gewöhnlich als Gegenstand und Hauptproblem einer Philosophie der Geschichte angesehen wird, die meta­physische Frage, ob die Geschichte einen Sinn und einen Zweck habe? Auf metaphysische Fragen gibt es bekanntlich nur hypothetische Antworten. Setzen wir statt ZweckZiel", so wissen wir, daß gerade da die Sozialdemokratie besonders metaphysisch und wiederum besonders dogmatisch denkt, indem sie das Endziel zu kennen behauptet und es materialistisch, ökonomisch bestimmt als den Kommunismus nach der Expropriation der Expropriateure und als die Überwindung des Nationalismus durch die Internationale. Aber von erkenntnis­theoretisch geschulten Sozialdemokraten selbst ist dagegen das Wort geprägt worden:Das Endziel ist nichts, die Bewegung ist alles." Warum es nun aber so schwer oder geradezu unmöglich ist. jene Frage zu beantworten, ist das: wir haben von der Geschichte nur einen ganz kleinen Ausschnitt, kennen weder den Anfang noch das Ende. Wenn wir annehmen, daß das Menschengeschlecht hunderttausend Jahre alt ist und noch hunderttausend Jahre lang bestehen werde und diese Zahlen find vermutlich nach rückwärts und nach vorwärts zu klein, so kennen-wir davon etwa sechstausend Jahre, also einen ganz kleinen Ausschnitt. Nun kann man freilich aus jedem Torso auf das Ganze schließen, nur sind diese Schlüsse um so unsicherer, je kleiner die bekannten Stücke sind; und hier sind sie vermutlich winzig.

Eine Vorfrage ist dabei die: wenn die Geschichte einen Zweck, ein Ziel hätte, sind dann nicht alle Generationen vor Erreichung dieses Ziels nur Mittel, das Ziel wird vielleicht erst von der allerletzten erreicht und erlebt? Da­gegen darf man doch fragen, ob nicht auch hier immer und jedesmal der Lebende Recht hat, jede Generation ihr eigenes Leben lebt und ihren eigenen selbst­ständigen Wert besitzt? Damit würde der Gedanke des Endziels auch hier verschwinden und von der Geschichte überhaupt gelten, daß die Bewegung alles sei. Allein statt Bewegung sagen wir hier doch lieber Entwicklung, und dann ist der Zweck- und Zielgedanke alsbald wieder da. Dem tritt nun die Anschauung gegenüber, daß sich nichts entwickle, sondern daß es immer ein und dasselbe sei: der Mensch bleibe im Guten und Bösen, im Glück und Unglück stets der gleiche, die Menschheit als ganze stehe still auf einer Linie, um die sich der Pendel des geschichtlichen Lebens auf und ab bewegt; der Unterschied der verschiedenen Perioden sei nur der, ob diese Schwingungen lebhafter oder langsamer, die Differenzierungen größer oder kleiner seien. Das letzte Wort dieser Stillstandshypothese, dieses Schwingens und Schwankens um einen Null-