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Die Begründung des Königreichs Belgien
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Die Begründung des Königreichs Belgien

wartete geduldig neun Jahre in der von Belgien umschlossenen Bundesfestung, bis auch der König-Großherzog Wilhelm diesen Beschlüssen beitrat, und gab dann die Hälfte eines deutschen Bundeslandes kampflos an Belgien preis.

Verständige Belgier haben später die Trennung von den Niederlanden als ein Unglück beklagt. Namentlich die Vlamen mutzten einsehen, als sie den Kampf um ihre Gleichberechtigung mit den Wallonen aufnahmen, daß sie diese sprachliche Gleichberechtigung in einem niederländischem Gesamtstaate ohne weiteres gehabt haben würden. Und selbst der Wallone Vauthier") meint in zurückhaltender Selbstbescheidung:Gegenüber der schon solange vollendeten Tatsache erscheint die Frage unnütz, ob die belgische Revolution von 1830 für Belgien ein glückliches oder bedauerliches Ereignis war. Selbst die, welche letzterer Ansicht zuneigen, niüssen beklagen, daß die Regierung des Königs Wilhelm (in mancher Hinsicht vorsichtig, eifrig und liberal) die Gabe, die berechtigten Gefühle des belgischen Volkes zu schonen und dadurch die einge­tretene Entwicklung zu beschwören, nicht in reichlicherem Maße besessen hat." Als ob die eingetretene Entwicklung ohne die tatkräftige Hilfe Englands und Frankreichs überhaupt möglich gewesen wäre.

Abgesehen davon, daß die Trennung für die Vlamen wirklich ein nationales Unglück bedeutete, war es wohl im wesentlichen das Gefühl des Unzureichenden des Kleinstaates, das diesen politischen Katzenjammer erzeugte. Nie sind daher die Wünsche ganz verstummt, Belgien durch deutsches Gebiet zu erweitern, obgleich dadurch der national gemischte europäische Kleinstaat vor noch unlös­barere nationale Aufgaben gestellt worden wäre. So dachte man in der Zeit der Königssuche an den König von Sachsen, der sein Stammland an Preußen überlassen, während Preußen die Nheinprovinz mit Aachen, Cöln und Coblenz an Belgien abtreten sollte. Und noch zu Beginn des Krieges tauchten Karten auf mit den neuen belgischen Grenzen, die nicht nur die Pfalz, Nheinhessen und das linke Rheinufer der Rheinprovinz, sondern auch auf dem rechten den rheinisch-westfälischen Jndustriebezirk umfaßten. Gegen Frankreich, wo an den Grenzen eine stammverwandte vlämische und wallonische Bevölkerung saß, die einst zu den Niederlanden gehört hatte, richteten sich solche Wünsche niemals.

Der kluge Macchiavelli hat einmal gesagt, die Macht werde durch dieselben Mittel behauptet, durch die sie erworben sei. Da in Belgien von der wesentlichen Eigenschaft des Staates, Macht zu sein unter den Machten der Erde, nicht die Rede sein konnte, kann man jenen Satz dahin erweitern, daß die Faktoren, die bei der Begründung des Staates wirksam waren, auch seine ganze weitere Betättgung bestimmten. Belgien war eine künstliche Schöpfung Englands und

*) Staatsrecht des Königreichs Belgien (aus Marquardsens Handbuch), Freiburg i, B. 1892, S. 16.