Die Stellung Lelgiens zum alten Reiche
179
Es war nur eine Episode gewesen. Aber charakteristisch war es für sie. daß man trotz der Überlieferungen des burgundischen Gesamtstaates und des Genter Bundes keinen Versuch machte, sich an den Staatenbund der nördlichen Niederlande anzuschließen. Zu tief war inzwischen die Kluft geworden durch die unter spanischem Einflüsse erfolgte Wiederherstellung der Alleinherrschaft der katholischen Kirche und des französischen Firnisses, der auch die deutschsprachlichen Landesteile überdeckte. Und den nördlichen Niederlanden selbst konnte an dem Erwerbe der fremd gewordenen südlichen Provinzen, womit die Aufhebung der Scheldesperre verbunden war, nichts gelegen sein.
Kürzeren Prozeß machte man mit dem aufsässigen Lüttich. das nun auf preußische Hilfe nicht mehr zu hoffen hatte. Mandate des Reichskammergerichtes und die Reichsexekution durch benachbarte Fürsten stellten hier die rechtmäßige Landesherrschaft wieder her.
So war die Verbindung der südlichen Niederlande mit dem Reiche aufs neue gesichert. Freilich uicht für lange.
Durch die Schlacht von Jemappes setzten sich im November 1792 die Franzosen in den Besitz des Landes. Infolge der Niederlage Dumouriez' bei Neerwinden am 18. März 1793 wurden die Österreicher allerdings noch einmal die Herren. Aber schon im folgenden Jahre machte Pichegru durch die Schlacht bei Fleurus vom 26. Juni 1791 der österreichischen Herrschaft für immer ein Ende.
Der ungünstige Ausgang des Rcvolutionskrieges für die deutschen Mächte war wesentlich dadurch veranlaßt, daß beide, Österreich wie Preußen, gleichzeitig nach Polen schielten und es nicht an Katharina die Zweite als Beute überlassen wollten, ohne ihrerseits auch daran teilzunehmen. Österreich hatte überdies nicht das geringste Interesse an Belgien, wenn es dafür in Polen und in Italien reichliche Entschädigung fand.
Auch der Traum einer belgischen Republik verblaßte bald. Er hatte für die Landesbewohner nur als Köder gedient. Sobald die Franzosen im tatsächlichen Besitze des Landes waren, veranlaßten sie Bittschriften von allen Seiten, die um das Glück der Vereinigung mit der großen Republik baten. Im Frieden von Campo Formio von 1798, bestätigt durch den Lünstadter Frieden von 1801, kam mit dem ganzen linken Rheinufer auch das Gebiet der österreichischen Niederlande und das Fürstbistum Lüttich an Frankreich und ging damit auch dem Reiche verloren. Ein Gebiet, das seit den Zeiten des ersten Herrschers aus sächsischem Hause beinahe neunhundert Jahre hindurch einen Bestandteil des heiligen römischen Reiches deutscher Nation gebildet hatte, und das das verfallende Reich trotz aller seiner Schwäche bisher noch behauptet hatte, wurde damit kurz vor seinem Untergange noch von ihm abgerissen.
Der 1815 auf dein Wiener Kongresse begründete deutsche Bund sollte zwar das Gebiet des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, wie es bis zur französischen Revolution bestanden, im wesentlichen umfassen. Aber gerade im Westen machte man zuungunsten Deutschlands eine Reihe von Ausnahmen, die größte und schmerzlichste mit den südlichen Niederlanden.
Als Ersatz für eine Reihe wichtiger Kolonien, wie Kapland, Ceylon, Surinam. die England während der Napoleonischen Kriege den nördlichen Niederlanden geraubt hatte, erhielten diese Belgien. Damit sollte gleichzeitig ein widerstandsfähiger Pufferstaat gegen Frankreich geschaffen werden, schon durch seine Entstehung auf die englische Vasallität angewiesen.
12*