Die Stellung Belgiens zum alten Reiche
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einen ansehnlichen Teil des Reiches ausmachten, aber der König von Preußen blieb bei seiner Ansicht, und im Hubertusburger Frieden wurde die entsprechende Bestimmung des Dresdener Friedens wiederholt. Dagegen gab Preußen seine frühere Auffassung beim Beginn des Revolutionskrieges selbst auf. Denn in der amtlichen Darstellung der Gründe, welche den König von Preußen bewogen haben, gegen Frankreich die Waffen zu ergreifen, hieß es: „Natürlich war das teutsche Reich, wovon die österreichischen Niederlande als Burgundischer Kreis ein Theil sind, hierdurch mit angegriffen."
Dagegen ist die Zugehörigkeit des Fürstbistums Lüttich als Teiles des westfälischen Kreises zum Reiche nie von irgend welcher Seite in Zweifel gezogen worden. Der Einfluß des Reiches war hier auch nicht so gelockert wie in den österreichischen Niederlanden seit den Zeiten der burgundischen Herrschaft. Bei der im achtzehnten Jahrhundert üblichen Vereinigung mehrerer Erzbistümer und Bistümer unter einem katholischen Mitglieds des Reichsadels, hatte auch der Fürstbischof von Lüttich meist noch andere deutsche Bistümer inne.
Dagegen ließ Österreich die inneren Verhältnisse der südlichen Niederlande im allgemeinen unberührt. Denn es hatte mit den dortigen Ständen gleich zu Anfang üble Erfahrungen gemacht. Die Steuerverordnungen des Marquis de Pri6, der an Stelle des Statthalters Prinzen Eugen von Savoyen die Regierung leitete, erregten 1719 einen Aufstand, der blutig unterdrückt werden mußte und sogar zur Hinrichtung des Schöffenmeisters Anneessen führte. Seitdem scheute sich die österreichische Regierung, an dem Bestehenden zu rühren. Dagegen war namentlich Maria Theresia durch ihren Schwager, den Herzog Karl von Lothringen, eifrig bemüht, den materiellen Wohlstand des Landes zu heben, soweit die unglückselige Sperrung der Schelde und des Hafens von Antwerpen dies zuließ.
Diese Zeiten ruhiger Entwicklung gingen nun aber mit dem Tode der Kaiserin Maria Theresia und der Übernahme der Regierung durch ihren Sohn Joseph den Zweiten zu Ende.
Zunächst empfand man in Wien den Besitz der entlegenen Niederlande überhaupt als lästig und immer wieder tauchten die Pläne auf. sie gegen Bayern einzutauschen, das nicht nur Österreich zwischen Tirol und Oberösterreich trefflich abgerundet, sondern auch gleichzeitig eine Verbindung mit den vorderösterreichischen Landen in Schwaben gebildet hätte. Die Wittelsbacher, denen überdies die Pfalz und Jülich-Berg verblieben wären, sollten für den Verlust Bayerns durch die österreichischen Niederlande unter dem Titel eines Königreiches Burgund entschädigt werden. Das wäre ungefähr das bisherige Königreich Belgien gewesen, aber erweitert durch die Wittelsbacher Erblande am Ober- und Niederrhein. Die Tauschpläne, die eine bedeutende Verstärkung der österreichischen Macht bedeutet hätten, begegneten unter Friedrich dem Großen dem heftigsten Widerstande Preußens und führten zum bayerischen Erbfolgekriege und zur Gründung des deutschen Fürstenbundes. Unter Friedrich Wilhelm dem Zweiten und bei dem besseren Verhältnisse der beiden deutschen Großmächte untereinander hatte sich Preußen mit dem Tauschplane abgefunden. Zur Ausführung ist er tatsächlich nicht gekommen, da die Ereignisse der französischen Revolution und der zweiten und dritten Teilung Polens dazwischen traten. Aber die Niederlande waren eben, das zeigen die immer erneuten Tauschpläne deutlich, ein Gebiet, das durch keinerlei inneres Band mit der österreichischen Dynastie oder mit den anderen österreichischen Erblanden verknüpft war, das man auf guie Art gern so bald als möglich los
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