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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Theologie

In seinem frisch geschriebenen Buch Moderne und Positive" (Verlag von Quelle u. Meyer, Leipzig. Preis 2 Mark) empfindet Karl Sell den Gegensatz zwischen Modern und Positiv so stark, daß er von zweiWeisen der Religion" spricht, diebis auf die Wurzel der Art nach" verschieden sind. Denn der Positive geht von Tatsachen der Geschichte, Heilstatsachen", aus. Der Moderne redet nur von den Empfindungen seines Bewußt­seins, von denen dann vielleicht auf objektive Größen (z. B. Gott) zurückzuschließen ist; sein Ideal istgotterfülltes Diesseits". Dennoch hält Sell ein friedliches Zusammenarbeiten beider Richtungen für möglich, und gerade der moderne Pfarrer soll durch Takt und Rücksichtnahme auf des anderen Frömmigkeit dazu beitragen. Das wird an Beispielen erläuiert. Und so will seine Schrift zur praktischen Verträglichkeit" beitragen. Ob es aber wirklich richtig ist, den Gegensatz der Richtungen so scharf zu fassen? Wenn Sell meint, daß unsere religiösen Empfindungen die Annahme einer göttlichen, transzendenten Welt nahelegen, weim er dagegen sich ener­gisch verwahrt, daß nach ihm oder Jatho Gott überhaupt nur im Menschengehirn existiere", so ist ein Dualismus aufgerichtet, der ihn abrückt von allem modernen Monis­mus und der allen Theologie näher bringt, als es zunächst scheint.

Karl Sappers konservativ gestimmter Nenprotestantismus" (Verlag von Beck, München, Preis geb. 3,S0 Mark), der un­gefähr dem Standpunkt des evangelischen Oberkirchenrats entspricht, dürste nach Sells Begriffsbestimmung nicht zur modernen Theo­logie hinzugerechnet werden. Denn ihm ist die historische Persönlichkeit Jesu der tragende Grund aller Frömmigkeit. Er gibt die Er­

klärung, daß die moderne Theologie nur eine neue Form ist, umden Menschen unserer Zeit den Weg zu Christus und durch Christus zu Gott zu führen". Wenn aber das Wesent­liche des alten Glaubens, dasPersönliche Vertrauensverhältnis zu Gott und Christus", im Neuprotestantismus festgehalten wird, so ist ein Streit der Richtungen nicht nötig. Die Darstellung Sappers ist leicht verständ­lich, geht aber noch zu sehr für den Laien in dem Gleise theologischer Formeln und Ausdrücke, wie sie in der Nitschlschen Schule aufgekommen sind. Jedenfalls kann man aus dem Buch, aus dem eine edle Frömmig­keit spricht, den theologischen Standpunkt kennen lernen, der in jüngeren Pfarrerkreisen Weitgehende Verbreitung heute hat.

Das Resultat der Schrift Bernhard Licvermamts, dessen TitelBiologisches Christentum" (Verlag von Mühlmann in Halle. Preis 4 Mark, geb. ö Mark) mich zu­nächst erhoffen ließ, hier neue Erkenntnisse über die Beziehungen der Naturwissenschaft und Theologie zu finden, kann in den Satz zusammengefaßt werden: Christus, das wesensgleiche Ebenbild Gottes, muß in das Herz aufgenommen werden, immer völliger, immer reiner. Alte orthodoxe, lebenswarme Frömmigkeit tritt uns in dem Buch entgegen. Aberein System eines biologischen Christen­tums" hat der Verfasser nicht aufgerichtet. Es ist warmherzigen, oft Predigtartigen Aus­führungen ein kleiner wissenschaftlicher Mantel umgehängt, und das Fremdwortbiologisch" wird bei dem starken naturwissenschaftlichen Interesse zur buchhändlerischen Verbreitung der Schrift beitragen.

Bisher lebte die Theologie in dem Ge­danken, daß die großen sittlich-religiösen Ge­danken Jesu, abgesehen von einigen zeit­geschichtlichen Schalen, in unsere Zeit über­tragen werden können. Harnacks berühmtes