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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aunstgeschichte

Dem ersten Bande derChinesischen Kunstgeschichte" von Oskar Münsterver,^ die

in Heft 1 des Jahrgangs 1911 besprochen wurde, ist jetzt der Zweite BandBaukunst und Kunsthcmdwcrk" (Paul Neff Verlag zu Eßlingen) gefolgt. Er hält nicht nnr, was das erste versprach, er übertrifft ihn an Fülle des Materials, an Klarheit der Darstellung. Über die hohe Knnst Chinas sind wir in allein auf Mchrichten aus zweiter Hand an­gewiesen und noch nicht in der Lage, das ganze Material vom richtigen, gesicherten Standpunkt zu übersehen. So können wir ungefähr den Ablauf des Geschehens, aber noch nicht Geschichte dieser Entwicklung geben. Anders im Kunsthaudwerk. Seit den Seiten der Römer findet ein Warenaustausch zwischen den Völkern Chinas und zwischen der Be­völkerung des Kulturkreises ums Mittelmeer statt, und die Chineseu selbst haben Aufzeich­nungen über Bronzen und Bronzeformen, über Porzellane bis in unsere Tage bewährt. Wenn man an Hand dieses zusammen­getragenen Materials das Kunsthandwerk Chinas überblickt und die Entwicklung der Formen und Ornamentik im einzelnen mustert, dann entdeckt man (und das ist bei Münster- derg mustergültig klargestellt), wie China nicht durch Mauern von der übrigen Welt abgeschlossen war, sondern wie Gedanken und künstlerische Ideen ein leichter, um so dauerhafterer Stoss alle Hindernisse über­steigen, Zeiten und Völker überdauernd. Es ist besonders interessant, Entlehntes von dem zu unterscheiden, was auf ältesten, scheinbar allen Völkern gemeinsamen Ursprung zurück­geht, und wiederum die Art, wie die ver­schiedenen Zeilen sich den Entlehnungen gegenüber Verhalten: gesetzgeberisch um­gestaltend oder sklavisch kopierend. Außerdem mich mnn in China die Macht der Tradition

miterwägen, die jedem Fortschritt , selbst in technischer Hinsicht, nur zu oft in die Speiche» greift.Ans eine gemeinsame Urlultur scheinen mir Sitten zurückzuweisen wie die, der Er­wählten des kaiserlichen Harems einen sil­bernen Ring anzustecken und, wenn sie sich Mutter fühlt, einen goldenen auf die rechte Hand. Wer denkt da nicht an die Ber- miihlungssitte der Juden? Oder man be­trachte die Figur Buddhas als Kind in einer Schale des Todaijitempels, Rara, und vergegenwärtige sich die in Kreta ausgegrnbencn Püppchen mythischer Kultur. Man vergleiche die Steinpfeiler in Hiao Tnngchnn, Shantung (1. Jahrh, n. Chr.) mit frühromanischen Sänlen oder beobachte die Rücksichtnahme auf Himmelsrichtungen bei Tempel-, Stadt- und Palastanlagen, die an ägyptische nnd römische Gewohnheit (Bitrnv, Zehn Bücher über Architektur, Buch IV, Kap. 6) erinnert. Demgegenüber steht deutlich erkenn­bar das fremdem Kulturkreise Entlehnte. Während bei den Mittelineervölkern die Archi­tektur die Mutter der Künste ist und alle künstlerischen Gesetze, wie Symmetrie, Nyth- mus, Reihimg, sich in ihr am klarsten aus­sprechen, fehlen diese Gesetze in der chine­sischen Kunst oder wirken in einer der unseren entgegengesetzten Form, weil der Chinese keine Architektur in unserem Sinne kennt. Finden wir also im chinesischen Kunsthandwerk sym­metrische Gegenüberstellung, rythniische Raum- süliung, Perspektive von einem Augenpunkt aus, so liegt Beeinflussung unseres Kultur­kreises vor. Dagegen ist alles das, was wir naiv als chinesisch bezeichnen: übermäßige Berschnörkelung des Linienspieles und der ornamentalen Füllung, eine Eigentümlichkeit des dekadenten, unschöpferischen, daher spiele­rischen Mandschustiles. Unter den Entleh­nungen, die zumal bei den Geweben deutlich die Persischen Borbilder verraten, interessieren