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Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus
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Llsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus

heilig ist, kennt der andere kaum oder beachtet es nicht. Wenn in der Welt Deutschland und Frankreich aufeinander stoßen, sehen die einen nur in Deutsch­land, die anderen nur in Frankreich den Anstifter alles Übels. Und wenn das Reich sich bemüht, Elsaß-Lothringen eine neue staatliche Zukunft zu geben, in der es all seine Kräfte entfalten kann, dann lehnen jene Kreise diesesGeschenk des Siegers an den Besiegten" ab, während die eingewanderten Altdeutschen sie im Interesse ihrer neuen Heimat begrüßen.

Diesen Zwiespalt der Anschauungen, der in den ersten Jahrzehnten nach dein Kriege ganz natürlich war, zu bekämpfen, hatten die politischen Parteien mit bestem Erfolg begonnen. Der Sinn für das Praktische, der schließlich doch den Untergrund der Natur des Elsaß-Lothringers bildet, war ihnen zustatten gekommen. Gemeinsame Arbeit auf den realen Gebieten des staatlichen Lebens führten ganz allmählich auch zu einer Übereinstimmung der politischen Ansichten, und aus dieser ergab sich allmählich auch eine Verständigung in nationalen Fragen. Selbst ein starkes deutsches Nationalgefühl ist bei Alt-Elsaß-Lothringern, die sich den nationalistischen Beeinflussungsversuchen nicht zugänglich erwiesen haben, durchaus nichts Seltenes. Der Erfolg jahrelanger, mühevoller Arbeit der besten Elemente beider Bevölkerungsteile würde in verhältnismüßig kurzer Zeit vielleicht schon vollständig gewesen sein, wenn der Nationalismus nicht mit seiner vor keiner Mühe und keinem Opfer, aber auch vor keiner Gewissenlosigkeit zurückschreckenden Gegenagitation zu einer Zeit eingesetzt hätte, in der die neuen Anschauungen bei vielen Einheimischen noch an der Oberfläche hafteten und noch keine Überzeugungen der nationalen Verhetzung entgegengestellt werden konnten.

Jetzt wirbt der Nationalismus, mag er politisch als Nationalbund oder gesellschaftlich als Verein, Cercle, Sociötö, Souvenir fran?ais auftreten, im ganzen Lande Anhänger. Die ausschließlich aus Alteinheimischen zusammen­gesetzten Sport-, Musik-, Touristen- und Vergnügungsvereine, die in jüngster Zeit entstanden sind, gehen sämtlich auf dieselbe Quelle nationaler Spaltungs­bestrebungen zurück. Uud sie münden alle schließlich in das große Sammel­becken des politischen Nationalismus.

Der Nationalbund als selbständige politische Partei wird schwerlich lange bestehen können, da sein Programm zu dürftig, sein parlamentarisches Wirkungs­gebiet zu eng und seine Existenz nur das Erzeugnis ehrgeiziger Bestrebungen einzelner Personen ist. Der Nationalismus aber wird in Jahrzehnten noch nicht überwunden sein, denn sein Geist ist der elsaß-lothringischen Jugend unserer Zeit eingeimpft und wird durch sie in der nächsten Periode der elsaß­lothringischen Geschichte in irgendeiner Form immer wieder zur Geltung gebracht werden. Das einzige Mittel aber, ihn zurückzudrängen, ist fester, ehrlicher Überzeugungs- und Bekenntnismut des deutsch gesinnten Teils der elsaß­lothringischen Bevölkerung. Und gerade diese Eigenschaft ist in Elsaß-Lothringen nicht allzuoft zu finden.