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Christian Dietrich Grabbe
geschlechtlicher Art, aber im Grunde sind sie nicht ärger als die der Schillerschen Jugenddramen. In Kabale und Liebe ist eine Stelle, der ganz die gleiche Vorstellung zugrunde liegt, wie die schmutzige Zote in Grabbes Gothland (III, 1 zu vergleichen mit Kabale und Liebe I, 5) und mit gewissem Recht verteidigt Grabbe seinen Abschaum mit dem Hinweis auf Goethes Faust, wo zwar keusche Striche gemacht seien, der Neim aber das Wüsteste erraten lasse. Es ist aber doch ein gewaltiger Unterschied, nur nicht auf moralischem, sondern auf ästhetischem Gebiet. Grabbes Zoten sind stillos und deshalb widerlich. Büchner, der ihm am nächsten steht, Shakespeare, von dem er gelernt hat, Schiller, den er damals glühend verehrte, und Goethe, mit dem er sich verteidigte, verstehen es, das Gemeine zu stilisieren; das konnte Grabbe im Gothland noch nicht, es lag ihm die gemeine Zote noch zu sehr auf der Zunge; die künstlerische Objektivität hatte er noch nicht gewonnen.
Grabbe war so wenig entwicklungsfähig, daß er allmählich durch die Praxis nur lernte, was jeder im Leben lernt: die Wirkung berechnen. Er erlernte es nicht, das Erlebnis zu gestalten, er gewann keine künstlerische Vertiefung, weil er zu unstät war, den Stimmungsgehalt des persönlichen Erlebnisses festzuhalten. Daher lernte er nie abzutönen und scharf zu prägen. Selten gelingt ihm eine reine scharfe Prägung wie die:
Nein, nein,
Es ist kein Gott! Zu seiner Ehre Will ich das glauben.
Da ist die Stimmung des Gothlanddichters in ganz runder Schleifung vollkommen ausgedrückt. Aber das ist eine der wenigen Ausnahmen. Als ihn 1835 Wolfgang Menzel auffordert, ihm etwas in „Schillers Album" zu schreiben, bringt er nichts weiter zustande als ein Zitat aus Schiller (Unter allen ird'schen Losen usw.), dem er als eigenen Beitrag die geradezu dilettantischen Verse beigibt:
Was du gedichtet im Herzen, es geschah, Und du bist ewig deutschen Seelen nah.
Übrigens ist Grabbe sich dieser Schwäche selbst bewußt, wie die begleitenden Worte an Menzel beweisen: „Ich konnt's nicht anders machen, weil ich mich nur auf verwickeltere dramatische Kompositionen verstehe, und selbst bei einer großen Gelegenheit, wie diese von Schillers Denkmal, welche aber Talent der Kürze fordert, nur so, wie geschehen, mich retten mußte. Kürze besitz' ich, doch bloß, wo sie sich in weitläufige Handlung einflicht, nicht aber zu Denksprüchen."
Und ebenso wenig gelingt ihm die reine Abtönung. Abgesehen von Stellen, wo er mit Absicht die Stimmung, die er kaum gewonnen, jäh zerstört, und von solchen, wo er den großen tragischen Stil dicht neben alberne Berliner Schnoddrigkeit setzt (im Napoleon), finden wir ihn oft außerstande, einen angeschlagenen Ton durchzuhalten, bis er harmonisch verklungen; täppisch schlägt der Grabbe