Der Kampf der Bildnngsidcalc
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des Wirklichen, mit der Freude an der Beobachtung des konkreten Einzelnen und am Wissen um dieses Positive, nicht bloß Gedankenmäßige, ohne Lust am Abstrakten, auch ohne viel Interesse für das Vergangene, es sei denn, daß es dem Werdenden zur Folie diene oder zum Ansporn, mit einem Wollen, das demgemäß auch auf recht bestimmte und hinlänglich nahe Ziele gerichtet ist, und mit einem Bestreben, sich mit voller Sicherheit in der Welt oder doch in seiner bestimmten Welt zu bewegen. Es verbindet sich damit wohl eine gewisse Unbekümmertheit um die allgemeineren oder die tiefer liegenden Probleme des gemeinsamen Lebens und anderseits das Bedürfnis möglichst freier individueller Initiative. Grübelei liegt namentlich dem eigenen Innenleben gegenüber fern. Der Gegenwart und der nahen Zukunft ist der Sinn regelmäßig zugewandt. Aktivität ist volleres Bedürfnis als Rezeptivität. Ein bestimmtes Können befriedigt ganz anders als ein reichliches Wissen.
Muß nun von diesen beiden Typen der eine als der an sich höhere, wertvollere anerkannt und der andere als der minder wertvolle hinter ihn gestellt werden? Mit Notwendigkeit sicher nicht I Das Nachwirken antiker Anschauungsweise macht sich hier noch weithin fühlbar. Im alten Griechenland galt es für freie Männer schon als unwürdig, irgendeine praktische Tätigkeit ausüben zu sollen. Außer dem Kriegsdienst konnte nur politische Betätigung in Betracht kommen. Aber seine Muße zu freiem Sinnen und Denken und etwa auch zur Pflege der Musik oder verwandter Künste zu verwenden, sich in Ruhe persönlich zu bilden, womöglich bis zum Erwerb einer festen philosophischen Weltanschauung zu gelangen, das war das Löbliche, das Würdige. Und allerdings wurde es ja den in dieser Weise Gebildeten zu gegebener Zeit auch möglich, an den wichtigsten der praktischen Geschäfte, den staatlichen, teilzunehmen, vielleicht in hervorragender, entscheidender Weise. Durch die Neuhumanisten ist dann jene Anschauung in unsere Lebenskreise hineingetragen und darin geschützt worden. Auch das Christentum hat dazu gewirkt, daß eine ganz innerliche Ausgestaltung des Individuums als das eigentlich Wertvolle galt, und äußere Aktivität ihr gegenüber meist nicht recht zählte. Aber allmählich haben uns doch auch andere Gesichtspunkte aufgehen müssen, das ganze Kulturleben der Gegenwart ließ sie nicht mehr versäumen. Nicht daß nun die äußeren Erfordernisse dieses Kulturlebens mannigfaltigere und energischere konkrete Arbeitsleistungen unentbehrlich machen, man fühlt nun vielmehr das Gewicht, die Bedeutung, ja die persönliche Größe auch derjenigen Mitglieder der Gemeinschaft, die in aktiver Lebens- betätigung etwas Tüchtiges leisten und anderen zu Vorbildern und Führern werden. Zu den „Praktikern" oder den „Realisten" in diesem Sinne sind ja eben auch die Organisatoren zu rechnen und überhaupt alle, die mit dem konkreten Leben urteilend oder eingreifend oder gestaltend zn tun haben. Daß deren Geisteskraft nicht geringer zu sein braucht als die der Sinnenden, Beschaulichen, Rezeptiven, das eben ist doch nachgerade allen nicht eigensinnig sich Verschließenden klar geworden.