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Maßgebliches und Unmaßgebliches
das diese Lücke ausfüllen wird, mutz aber etwas anders aussehen als das von Reinach und Mahler. l.ie. G, Wnstmann-Lhemnitz
„Der Kaufmaunsstand in der deutschen Literatur bis zum Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts." In seinem also betitelten Aufsatz äußert M. R. Kaufmann (Grenzboten 1910, Nr. 42 S. 120): „Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet." Diese Ansicht bedarf einer Ergänzung, insofern nämlich der bekannte Humanist (f 1690) zwar kein Kaufmannsstück verfatzt hat, aber doch in seiner trefflichen Komödie „Julius Redivivus" einen Vertreter des Kaufmannsstandes auftreten läßt. In ihr erscheinen Caesar und Cicero unter Führung Merkurs auf der Oberwelt und beobachten mit immer wachsendem Staunen die Fortschritte der Deutschen auf allen Gebieten der Kultur. Als Vertreter des deutschen Wehrstandes tritt ihnen Hermann, ein Namensvetter des berühmten, als Vertreter des Lehrstandes Eobanus Hesse entgegen. Auf seinen Wunsch wird Caesar ins Zeughaus geführt, Cicero betrachtet die Buchdruckerei und Bibliothek:
„Caesar ist unterdessen zurückgekehrt und beschreibt nun,
Was er für Waffen gesehn in dein Zeughaus, welcherlei Büchsen, , ,
Da erblickt er von fern, den Hausiererkorb ans dem Stücken,
Einen snvoyischen Mnnn, der in neugnllitcher Mundart
Wölscht, dem alten Besieger der Gallier nimmer verständlich,"
(Vgl. D. Fr. Strausz, „Leben und Schriften Frischlins". S, 134.)
Das ist der Kaufmann aus dem Lande der Allobroger (oder Sabandi); als ein Ungetüm wie Atlas erscheint er Caesar. In seiner „barbarischen" Sprache schimpft er auf die Soldaten, die samt und sonders Taugenichtse und Diebe seien; einer habe ihm seine Börse gestohlen, dafür aber habe er sich an dessen Frau schadlos gehalten. Aus Hermanns und noch mehr Caesars entsetzte Fragen nach seiner Herkunft gibt er grobe, patzige Antworten und beschuldigt gar Hermann des Börsendiebstahls. In einer späteren Szene preist der pfiffige Krämer, der nur seines Geldbeutels Interessen kennt, vergeblich Hermann seine Waren an; dieser läßt ihn schließlich verhaften und befiehlt, ihn zu Tode zu prügeln, weil er durch feine Waren die Soldaten verweichliche und zur Verschwendung treibe. Nur das Dazwischentreten des durch die Hilferufe des Allobrogers herbeigerufenen Merkur, der als ?raese8 iori fungiert hat, rettet den Bedrängten, und schleunigst trollt er sich auf Nimmerwiedersehen. — Wie Kaufmann das bei Naogeorg hervorgehoben hat, gilt hier dem sittenstrengen Vertreter des deutschen Wehrstandes, Hermann, der Krämer als Sündenbock. Aber es bricht sich doch auch bereits eine andere Auffassung Bahn: Merkur weist in seiner Verteidigung des Allobrogers darauf hin, daß gute Dinge erst durch schlechte Anwendung schlecht würden, und überhaupt trage die Schuld an den vielfach traurigen Zuständen in Deutschland nicht die Ware des Kaufmanns, sondern das Erblaster der Deutschen, die Trunksucht. So bildet die Darstellung Frischlins in dieser Komödie eine Ergänzung zu der Auffassung, die sonst in der Humanistenzeit herrschte, indem sie wenigstens den Versuch macht, dem vielgescholtenen Stande Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Dr. w. Iancll-Friedenan