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g^Z Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Andere bleibt gelassen. „Die Einfachheit, die Sie meinen, ist der letzte Schrei der Kultur, das Allerkomplizierteste. Zu diesem Zweck müssen Sie nicht ins alte Bauernhaus gehen. Die Bauernpoesie ist eine Einbildung der Städter. Sie existiert nicht."
„Herr," erwidere ich von oben herab, „schmähen Sie nicht über das Bauern- Haus. Es gehört zn den seligsten Erinnerungen meines Lebens!"
Die Idylle, das paradiesische Glück, der Friede des Bauernhauses, sie beginnen wieder in der Illusion zu erwachen. Kein Schatten droht mehr, das heitere Bild zu zerstören. Es ist mein dauernder Besitz geworden. Seelenbesitz.
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspicgcl Berlin, 18. September 1910.
Nikolaus der Zweite — Gesichtspunkte der neuen Militärvorlage — Wiederaufnahme der Reichsfinanzreform.
Seit einigen Wochen weilt der Beherrscher des zweitgrößten Reiches der Welt, Zar Nikolaus der Zweite, mit seiner erlauchten Familie innerhalb der deutschen Grenzpfähle, sich Erholung und Ruhe, seiner hohen Gemahlin Genesung zu suchen. Eine Presse, die von nationalen Dingen überhaupt wenig hält, hat sich nicht gescheut, die Gastfreiheit in der schmäligsten Weise zn verletzen und die häßlichsten Pamphlete gegen unsere fürstlichen Gäste zu veröffentlichen. Es ist merkwürdigerweise dieselbe Presse, die vollste Bewegungsfreiheit für alle Ausländer fordert, selbst wenn diese offen für den Fürstenmord eintreten. Die Taktlosigkeiten gegen den Herrscher des Nachbarreiches, den obendrein viele Bande der Familie und Freundschaft mit deutschen Fürstenhäusern verbinden, brauchten wir nicht zu registrieren, wenn sie allein von der Sozialdemokratie ausgingen. Sie sind schwerwiegender, weil auch Blätter von hohem Ansehen, die im Auslande — allerdings fälschlich — als wahre Spiegel der Stimmung betrachtet werden, in den unparlamentarischen Ton verfallen find. Wir können diese Ausschreitungen nur um so mehr bedauern, als sie sich nicht nur gegen Gäste sondern gegen kranke Gäste richten, die sich dem Schutz der deutschen Nation und der Tüchtigkeit ihrer Ärzte anvertrauen, die also mit ihrem Aufenthalt keine besondern politischen Ziele verbinden. Natürlich wird es dem Zaren kaum gelingen, sich während seines Aufenthalts in Friedberg alle Negierungsgeschäfte fernzuhalten. Besonders Fragen der auswärtigen Politik sind ihm in die ländliche Einsamkeit nachgereist. Sein Minister für die auswärtigen Angelegenheiten, Herr Jswolski, hat in nächster Nähe von Friedberg Aufenthalt genommen und hält dein Zaren wiederholt Vortrag. Überhaupt soll man nicht glauben, Nikolaus der Zweite sei der unstäte und bequeme Träumer, als der er von den Revolutionären gekennzeichnet wurde. Der Zar ist auch durchaus nicht mehr von der Mauer umgeben, die Pobjedonostzew, Sypjagin, Plehwe um seinen Vater und ihn gezogen hatten. Der Zar orientiert sich und zwingt seine Minister mit der ihm eignen ruhigen Hartnäckigkeit, ihn zu orientieren. Demzufolge ist naturgemäß auch die persönliche Auffassung des Zaren von den Aufgaben der russischen Politik von weit größerer Bedeutung, als wie es früher der Fall war. Der romantische Nnterton seines Charakters und seine außerordentlich streng gerichtete Gläubigkeit in religiöser Hinsicht führen ihn zu den Ideen des Slawjanophilentums, die als Ncuslaivjanophile gegenwärtig die Köpfe der russischen Gesellschaft beherrschen-