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!,)ucm Zhih-kai
klaren Wintertag Nordchinas die Sonne auf das bunte Treiben der Straßen hinab, das durch die Ankunft der allwinterlich einkehrenden Mongolen mit ihren großen Kamelknrawaueu nur noch dichter geworden ist. Ist es uicht in jedem Winter so? Hat es etwa früher anders ausgesehen, und ist uicht Peking immer der Tummelplatz wildester Gerüchte (wie sie der Chinese nennt) gewesen? Die ältesten Residenten vermögen keinen Unterschied zu erkenneu, und gleich bieder und treuherzig wie immer erscheint dieser so interessante uud dem Platz Lokalfarbe gebende Typ Pekings, der Karrenführer. Es ist alles so wie sonst. Peking ist zweifellos eine ruhige Stadt, und eifriger denn je geht man in der Gesandtschaftsstraße an die Vorbereituug von Festen, die noch in jenen Tagen bei der geriugeu Zahl der Residenten etwas so ungemeiu Trauliches und Intimes hatten. Ein halbes Dutzend Gesandtschaften, das Generalinspektoriat der Seezölle und zwei Banken: das war ganz Peking, und die Zähl der Europäer dürfte fünfzig kaum überschritten haben. Jeder kannte jeden, und iu gesellschaftlicher Hinsicht bildete alles eine große Familie. Politisch sah freilich die Sache gauz auders aus. Da war die Stadt der große Tummelplatz politischer Jntrigen, und gauz Peking hatte sich in eine Atmosphäre gegenseitigen Mißtrauens gehüllt. Selbst die kleinsten der Gesandtschaften taten ungeheuer geheimnisvoll uud beschäftigt, uud es gab keinen Kanzlisten in Peking, der nicht von der ungeheuren Wichtigkeit seiner Person uud der Tragweite seiner politischen Tätigkeit überzeugt gewesen wäre. In dieses Peking brach das Jahr 1900 mit all seiner Not uud Verzweiflung, seinem Kampf uud seinem Mannesmnt, aber auch der Armseligkeit uud Erbärmlichkeit der Menschennatur herein.
Während in Peking der Verzweiflungskampf der Europäer tobte, saß Duau Shih-kai in der Provinz Shantung als Gouverueur. Seine vorzüglichen Truppen waren ihm dorthin gefolgt, und obwohl seiu Einschreiten damals das Schicksal des Tages entschieden haben würde, rührte er sich uicht. Als aber dann im August und September Peking von fremden Truppen überflutet wurde, und man sich aus dem Chaos die ueuen Machthaber bilden sah, erkannte Uuau Shih-kai seineu Weg klar vorgezeichuet vor sich. Mit schneller energischer Hand säuberte er Shcmtuug von flüchtigen Boxern uud der desertierteu zügellosen chinesischen Soldateska und erreichte es, das die fremdeu Truppen, die ganz Chili überliefen, an den Grenzen seiner Provinz Halt machten. Dabei bewährte sich sein Lorp8 ä'ölite glänzend, uud es war dieselbe Truppe, die schließlich auch die Kaiseriu-Witwe uach ihrem Exil in den Palast zurückführte. Als Li Hung-Chang starb, erhielt Juan Shih-kai den wichtigen Posten des Vizekönigs vou Chili.
Die Kaiseriu-Witwe hatte, ungleich jenen französischen Königen, viel gelernt uud nichts vergessen. Wenn sie wie der Mandschuh-Klan noch vor dem Jahre 1900 geglaubt hatte, mit Speeren, Pfeil uud Bogen den fremden Truppen entgegentreten zu können, so sah sie jetzt klar, daß für den Augenblick nichts nötiger täte als ein starkes Heerwesen. Wenn die Nation auch daueben noch andre Ziele hatte, wie die Einführung einer Verfassung, so standen diese doch gegen jeuen Plan weit zurück. Der Hof auf seiner hastigen Flucht voll von Demütigungen, Angst und Schrecken hatte die brutale Gewalt des Krieges am eignen Leibe zu bitter erfahren, als daß ihm eine Wiederholung wünschenswert erscheinen konnte. Die Reform des Heerwesens wnrde also die Parole des Tages. Und hier war es wieder Uuau Shih-kai, der iu der ueuen Bewegung die Führung übernahm. Ans seiner Elitetruppe, die ihm von Shantung wiederum