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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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handelspolitischen Beziehungen zwischen Mutterland und Schutzgebieten gehört, den Boden zu ebnen. Als Deutschland in den Besitz von Schutzgebieten gelangte, waren freilich die wissenschaftlichen Ansichten über Kolonialpolitik längst formuliert, und zwar in erster Linie von Deutschen selbst. Nachdem Alexander von Hum­boldt die ersten Versuche dieser neuen Wissenschaft gemacht hatte, erkannte vor allem Friedrich List die Bedeutung einer großzügigen auswärtigen Kolouialerwerbs- politik, wenn auch sein Ausspruch, seefahrende Nationen wußten, das; die See an guten Gütern reich sei und daß man nur Mut uud Kraft haben dürfe, um sie zu holen zunächst auf eine bloße Gewalt- und AuSbeutepolitik. wie es die der Portugiesen Spanier, Holländer und Engländer in früheren Jahren war, hinauszulaufen schieu Den weiteren Ausbau der jungen Wissenschaft besorgten dann vor allein Roscher-Jannasch, deren Werk über Kolonien, Kolonialpolitik und Auswanderung (1885) von grundlegender Bedeutung war.

Auf dem Gebiete deutsch-kolonialer Handelspolitik sind die m Men Unter­suchungen erzielten Ergebnisse jedoch ziemlich unbeachtet geblieben. Ebenso hat das Vorgehen Englands und Frankreichs nach dieser Richtung hu: keme dauernde Wirkung' bei uns erzielt. Allerdings sind die handelspolitischen Beziehungen Mischen dem Deutschen Reiche und seinen Schutzgebieten in völkerrechtlichem Sinne durchaus geregelt, aber dieses Verhältnis entspricht nach Ansuht weiter Kreise keineswegs den engen Verbindungen, wie sie zwischen Mutterland und Kolonien bestehen.' Denn unsere Kolonien betrachten sowohl sich untereinander als auch das Reich als Zollausland, ein Modus, der sonst nur uoch in Holland beobachtet wird. Am entschiedensten nach dieser Richtung ist neben den Vereinigten Staaten von Amerika in Europa Frankreich vorgegangen. Auf Grund deS Gesetzes vom 11. Januar 1892, das durch das neue Zollgesetz unberührt bleibt, gehen d>e Er­zeugnisse des Mutterlandes uud seiner Kolonien gegenseitig grundsatzlich zollfrei ein. Ausländische Erzeugnisse die von einer Kolonie nach der anderen gebracht werden, zahlen dort die etwa bestehende Zolldiffcrenz nach. Einige nach beson­deren Vorzugstarifen erhobene Zölle sind ihrem Wesen nach Binnenzolle. Frank­reich behandelt also seine Kolonien als Zollinland. Über die Wirkungen dieser Gesetzgebung herrschen jedoch ziemliche Meinungsverschiedenheiten. Die Be­günstigung der kolonialen Produktion in Frankreich hat deren Ausdehnuug bisher nicht in nennenswertem Maße gefördert. Die französische Industrie klagt, daß sie trotz der Zollvorteile in den Kolonien nicht nur keinen genügenden Markt sinde, sondern daß ihr die Kolonien vielfach im Mutterlande Konkurrenz machten. Zur richtigen Beurteilung dieser Verhältnisse darf jedoch nicht übersehen werden, daß Frankreich überwiegend Agrarstaat ist, mit dem überseeische Schutzgebiete viel eher in Wettbewerb treten als mit Ländern, deren wirtschaftlicher Schwerpunkt m der Industrie liegt. Für die Beurteilung der Wirkuugen eines gleichen handels­politischen Zustandes zwischen dem Deutschen Reiche und semen Kolomen kommen deshalb ganz andere Umstände in Betracht. ^, ^ .

Für England handelt eS sich um eine Zollvergünstigung seiner ^ndusne- erzeugnisse in den Kolonien. Nur um die Mitte der sechziger Jahre des ver­gangenen Jahrhunderts, als die Freihandelsbewegung in Großbritannien ihre stärksten Wellen schlug, befolgte das Mutterland den Gruudsatz daß die Waren Englands zollpolitisch in den Kolonien nicht anders behandelt werden dürften als ausländische. In den Handelsverträgen mit dem Deiitschen Zollverem <30. Mai 1865) und Belgien wurde sogar - und zwar auf Anregung des eng ischen Kabinetts-die Bestimmung aufgenommen, daß die Vertragsstaaten m den englischen Besitzungen nicht schlechter behandelt werden sollten als das Mutterland. England.