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Ccwour einpfahl seinem Könige, auf diese Vorschläge einzugehen, da er als Herrscher des reichsten und stärksten Teiles Italiens auch die wirkliche Macht über ganz Italien besitzen würde, um so eher, als die tatsächlich erfolgte Flucht Leopold des Zweiten zu gewärtigen wäre. Cavour redete dem Könige ferner aufs dringendste zu, dem Staatsinteresse das Opfer zu bringen und entsprechend der Forderung Napoleons seine Tochter Klotilde des Kaisers Vetter zur Frau zu geben. Cavour tat noch mehr: auf Napoleons Frage, ob Frankreich zur Entschädigung Savonen und Nizza bekommen würde, erhob er zwar den Einwand, daß die Politik seines Königs vom Nationalitätsprinzip bestimmt wäre, stellte aber in Aussicht, daß Savouen, die Wiege semer Familie und die Stätte einer alt anhänglichen Bevölkerung, vom Könige abgetreten werden würde, und ließ in betreff Nizzas die Möglichkeit der Erfüllung des kaiserlichen Wunsches offen.
Man hat Cavour diese Abmachungen von Plombiöres sehr verdacht und in ihnen nicht viel weniger als einen Verrat der nationalen Sache gesehen. Das ist verständlich. Indessen gibt es ein großes Entlastungsargument für Cavour: hätte er Napoleons Vorschläge und Bedingungen und damit Frankreichs Hilfe abgelehnt, so wäre das Königreich Sardinien ganz gewiß auf sich allein angewiesen geblieben. Jni übrigen war die Abmachung mit Napoleon nicht für alle Zeiten, nicht für andere Staatsmänner als Cavour und auch nicht einmal für Cavour selbst um jeden Preis verbindlich. Die Zukunft hat das bestätigt. Was im besonderen Savoyen uud Nizza betrifft, so sagt dazu ein französischer Diplomat, Graf d'Haussonville, der Cavour seit jungen Jahren nahe gestanden: „Cavour hatte eingewilligt, den Dienst Frankreichs in natuia zu bezahlen, d. h. mit schönen und guten Provinzen, die seit urdenklichen Zeiten dem Hause Savoven gehören, weil er nicht gezwungen sein wollte, noch teurer ZU bezahlen, nämlich mit einer allzu absoluten Abhängigkeit und einem allzu vollständigen Vasallentum." („Revue des Deux Mondes" vom 15. September 1862.) Ohne Zweifel hat Graf d'Haussonville hierin recht. Eben wegen der Befürchtung solcher Abhängigkeit und solchen Vasallentums war ja von vielen dem Engagement mit Frankreich von vornherein widerraten worden. Und es scheint somit außer Zweifel, daß Cavour den unbefriedigenden Teil des Abkommens mit Frankreich hat hinnehmen müssen, weil er sonst auch den höherwertigen befriedigenden Teil und damit die großitalienische Sache nicht bloß für den Augenblick, sondern für absehbare Zukunft hätte preisgeben müssen.
Zwischen Plombiöres und dem Beginn des sardisch-französischen Krieges gegen Österreich lag eine spannungsreiche Zeit. Napoleons herausfordernde Worte an den österreichischen Botschafter. Viktor Emanuels Worte im subalpinen Parlament, daß er den „Schmerzruf ganz Italiens" höre. Cavours unablässiges feines Spiel, um im Widerspruch zu den Tatsachen alle Augenblicke eine neue „österreichische Provokation" vor Europa in Erscheinung treten zu lassen. Graf Walewski. der französische Minister des Äußeren, war keineswegs
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