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Wohltätigkeit, sowie für eine soziale, wirtschaftliche und öffentlich-rechtliche Hebung des Arbeiterstandes. Ein eklatanter Bruch mit d'Azeglio veranlaßte ihn aber, das Kabinett zu verlassen.
Schon wenige Monate später, am 4. November 1852, treffen wir indessen Cavour als Ministerpräsidenten wieder. In diesem Amte, das er mit nur einer kurzen Unterbrechung, die aber die Überlegenheit seiner Person und seiner Macht erst recht offenbarte, die ganzen neun Jahre bis zu seinem Tode behielt, hat er nach und nach alle äußeren und inneren Widerstände besiegt, hat er Piemont auf kühnen, gemeinhin als unmöglich geltenden Wegen") in den Rat der Staaten Europas eingeführt, ihm mächtige Verbündete gesichert, ihm zu kriegerischen Erfolgen verholfen und so Italiens politische Einheit teils sicher gestellt, teils aufs beste vorbereitet. Gewiß, ohne Mazzini und die nationale Aktionspartei, ohne die Spontaneität und das glückliche Heldentum Garibaldis und ohne den loyalen, soldatischen König Viktor Emanuel den Zweiten wäre, um nur die entscheidendsten Faktoren zu nennen, Cavour dergleichen nicht gelungen.
Was er zur Hebung des Finanzwesens, zur Mehrung der Verkehrsmittel, zur Ausgestaltung und Belebung der Volkswirtschaft, zur Milderung der sozialen Gegensätze als untergeordneter Minister begonnen, das setzte er als Ministerpräsident fort und ergänzte es durch umsichtige und energische Fürsorge für das Heerwesen, durch Sicherung der Personal-, Religions- und Preßfreiheit sowie durch mehrfache wirksame Beschränkung der Machtstellung des katholischen Klerus und der kirchlichen Korporationen.
Nachdem Piemont sich zu einen: lebenskräftigen Staatswesen emporgearbeitet hatte, ging Cavour daran, die Erinnerung an Custozza und Novara zu tilgen und das militärische Ansehen, sowie die internationale Geltung seines Landes zu heben. Der Krimkrieg bot die Gelegenheit. Zur Unterstützung der Westmächte schickte das kleine, Iroe „verbündete" Königreich fünfzehntausend Mann unter La Marmora auf dem Kriegsschauplatz. Hier leisteten diese in der Tat ansehnliche Dienste, und bei Traktir erlangten sie auch für ihr Teil den so erwünschten Waffenruhm.
Im übrigen war hiermit ein Titel gegeben, auf Grund dessen Cavour die Zulassung Piemonts zum Pariser Kongreß verlangen konnte. Cavour selbst begab sich als Vertreter seines Staates nach Paris. Was er hier wollen konnte, war nicht eigentlich eine Entschädigung für die Beteiligung am Krimkriege. Ihm lag daran, unter den Mächten in aller Form zu figurieren, was das gewiß stärkere und angesehenere Preußen nur auf Verwenden Napoleons des Dritten durchsetzen konnte. Cavour lag ferner daran, irgendeinen Anlaß zu finden, um vor dem Forum der Mächte die „italienische Frage" stellen zu können. Der unter-
") „Die Staatsmänner eines jedes Landes sind viel zn sehr Rontiniers, mn einen kühnen Plan anzunehmen, der miS dein Gleise der Diplomatie austritt", so sagt Cavour selbst in einem Briefe.