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Maßgebliches und Unmaßgebliches
der Weitere Einsatz militärischer Kräfte das Kricgsglück nicht wiederherstellen könne. So wie Frankreich wird jede große Nation handeln. Niemand fragt in solchen Katastrophen danach, ob der vereinbarte Höchsteinsatz der nationalen Kräfte erreicht ist; die Nation setzt einfach ihr Letztes und Höchstes ein. Jede unvorbereitete, unorganisierte Leistung jedoch vermehrt und verlängert die Leiden und Opfer des Krieges; sie legt der Nation das Doppelte auf, was sie bei rechtzeitiger, ausreichender Rüstung zu tragen gehabt hätte und was vielleicht das Glück hätte wenden können. Deshalb ist es ein Verbrechen an der Nation, die Leistungen für ihre Wehrkraft von etwas andrem abhängig zu machen als von den Erwägungen, nach denen die Nation selbst das Maß dieser Leistungen bestimmt.
Der Wechsel in der Leitung unsres Auswärtigen Amts ist nun vollzogen worden. Herr v. Kiderlen-Waechter hat die Geschäfte seiner neuen Stellung übernommen. Vorher hat er auf dem Wege von Bukarest nach Berlin in Marienbad Station genommen, um mit dem Grafen Aehrenthal eingehende Besprechungen zu pflegen. Es würde natürlich verkehrt sein, an diese Besprechungen besondre Vermutungen zu knüpfen. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich- Ungarn stehen fest. Graf Aehrenthal und Herr v. Bethmann Hollweg haben persönliche Aussprachen gehabt und sich vollkommen verständigt. Herr v. Kiderlen ist dem Grafen Aehrenthal seit langer Zeit persönlich bekannt. Das sind alles Gründe genug, um einzusehen, daß es sich in Marienbad nicht um besondre Fragen handelte, sondern um eine Bekundung des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Staatsmännern. Die Begegnung in Marienbad hat also nur das Siegel gedrückt auf die Verhältnisse, die aller Welt bekannt sind. Daß Herr v. Kiderlen gerade jetzt vor Übernahme seines neuen Amts die Gelegenheit zu einer solchen Aussprache ergriff, bedarf keiner besondern Erklärung. Es war das auch vielleicht gerade deshalb sehr wünschenswert, weil jetzt in der auswärtigen Politik eine Periode der Windstille eingetreten ist. Daß im nahen Orient dabei immer einige Gewitterwolken am Himmel hängen, ist beinahe selbstverständlich.
Still ist es auch in der innern Politik geworden, besonders wenn man an die Erörterungen, mit denen die Tageszeitungen ihre Spalten füllen müssen, den Maßstab des Notwendigen und Nützlichen legt. Es erscheint in diesen ereignis- armen Zeiten wie ein Geschenk des Himmels, daß sich die Politiker die Köpfe zerbrechen dürfen, ob Ernst Bassermann an der Spitze der nationalliberalen Partei bleiben oder sich zurückziehen will, und was er dein Reichskanzler bei seiner Unterredung mit ihm gesagt oder nicht gesagt hat. Ein Ergebnis aber scheint sich aus den Preßerörterungen der letzten Tage bestimmt herauszuschälen, daß nämlich von dem Großblock von Wassermann bis Bebel kein praktischer Politiker, der in den Parteileitungen mitzureden hat, etwas wissen will. Und wenn noch in einzelnen Kreisen der fortschrittlichen Volkspartei eine platonische Liebe für diesen Gedanken fortlebt, so hat das jetzt jede praktische Bedeutung verloren, nachdem klar geworden ist, wie schroff die Sozialdemokratie selbst alle solche Ideen ablehnt. Hoffentlich führt das dahin, daß sich die Aufmerksamkeit der Mitielparteien mehr der Frage zuneigt, wie sie sich immer fester auf eigne Füße stellen können. Schließlich besteht das Leben der Parteien nicht allein in der Wahltaktik.
Personal»«! bei den polnischen Volksbanken. Zu dem in Nummer 2V und 21 der „Grenzboten" veröffentlichten Aufsatz des Herrn Amtsrichter Dr. Sontag, Kcittowitz O.-Schl., erhalten wir durch Vermittlung des Herrn Nechtscmwalt Ratajski zu Natibor folgende „Berichtigungen":