Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches
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der Kinder und Ehegatten mit sich brachie, sondern namentlich, weil der Erfolg der vorgeschlagenen Maßregel nach den eigenen Angaben des Entwurfs nur ein mäßiger sein konnte, weil das ganze Institut der Nachlaßsteuer fremdartig, dunkel, undurchsichtig war und weil man endlich unterlassen hatte, zur Verhütung etwaiger Härten ein geeignetes Sicherheitsventil vorzusehen. (Vgl. meinen Aufsatz: „Veredelung der Erbschaftssteuer" in den „Preußischen Jahrbüchern", November 1909 S. 19.) So mußte die Regierung unter dem Drucke der öffentlichen Meinung, nicht etwa nur einzelner Parteien, sich nachträglich dazu verstehen, -die Vorlage zu dem umzugestalten, was sie im Grunde war, zu einer Erweiterung der Erbschaftssteuer. Während aber der Vorschlag in der ursprünglichen Form der Nachlaßstener doch noch 73 Millionen abwerfen sollte, wurde der Ertrag des umgestalteten Entwurfs auf 55 Millionen verauschlagt. Natürlich fiel er nun erst recht. Konnten schon 75 Millionen nicht reizen, so waren 55 Millionen gewiß nicht verlockender. Um so unhaltbarer mußte der von dem Reichskanzler eingenommene Standpunkt erscheinen, daß die Finanzreform nur mit dieser Erbschaftssteuer beschlossen werden könne. Die Mehrheitsparteien hatten vollkommen recht, wenn sie diese Behauptung als unverständlich bezeichneten. — Ebenso unglücklich mußte der Fcldzug verlaufen, den die Regierung im Interesse der von nur vertretenen Reform des Erbrechts unternahm mit dem Ziele, das Erbrecht der entfernteren Verwandten zugunsten der Reichskasse zu beseitigen. Zwar hatte sich der leitende Staatsmann schriftlich und mündlich, auch im Bundesrat, für die Reform ausgesprochen; dabei ließ er es aber beweudeu. Die „Kleinarbeit" wurde den: Reichsschatzamt überwiesen, die schwierigen, ver- antwortuugsvolleu Verhandlungen niit dieser Behörde fielen der Reichskanzlei zu. Der so entstandene Entwurf „über das Erbrecht des Staates" stellt keine umfassende Reform dar, keine durchgreifende Änderung des nach römischer Schablone völlig schrankenlosen Verwandtenerbrechts. Er beseitigt nur die Erbansprüche der entferntesten Verwandten zugunsten der Staatsgesamtheit, so daß immer noch der Urgroßonkel von seinen Geschmisterurenkeln beerbt wird, — wie vor vierzehn Jahrhunderten im oströmischen Reiche unter der Mißwirtschaft Justinians. Der Ertrag dieser bescheidenen Reform, der gleichwohl noch ansehnlich werden konnte, wurde mittels künstlicher Abzüge auf 25 Millionen herabgesetzt. (Vgl. „Begründung des Entwurfes eines Gesetzes über das Erbrecht des Staates" S. 28.) Die natürliche Folge war, daß das warme Interesse, welches gerade diesem Problem von allen Seiten entgegengebracht wurde, allmählich erkaltete, zumal die Vertretung der Vorlage nicht aus starker Überzeugung heraus mit seuriger Leideuschaft, mit hinreißender Beredsamkeit geführt wurde. Fürst Bülow selbst, der sich im Reichstag wiederholt, wen» auch erfolglos, für die Erbschaftssteuer bemühte, hat mit keinem Wort der Erbrechtsreform gedacht, obgleich dieses Projekt weit größere Tragweite hatte, weit höheren Ertrag liefern konnte und sich der lebhaftesten Sympathien innerhalb der Regierung wie des Reichstages erfreute. Auf diese Weise kounte iu der Tat eine große Reform nicht ins Leben