Heimfahrt
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Süßele erhub sich ehrerbietig, verneigte sich und rief in der Richtung des Sprechens: Vergebung, lieber Herr, ich sehe nicht. Aber Sie haben a jüdisch Herz Viel Freud solln Se erleben an Ihre Kinder und Kindeskinder.
A Cholera soll'n treffen! rief Mcmdels Stimme plötzlich dicht neben ihr. Was hat er gesagt — schöne Frau — schöne Frau!? Was waiß er? Selbst soll er sich nehmen — dcmu hat er ein Weib, und sie soll ihm sein wie ein Dornbusch!
Sein Schwiegervater wies ihn zurecht. Geh weg! Er hat uns eine Wohltat getan — willst du wieder Streit?
Wie haiszt? Schöne Frau?!
Habeu wir nicht schweigen gelernt? Denk, wir müssen eppes haben zu beißen — Wir brauchen uns darum nicht mehr zu bücken — wir machen keine Geschäfte mehr mit ihnen! Wie haiszt? Soll er mein Weib angaffen? In einen Schweinestall soll er sehen!
Was tust du hier zu stehen? Nimm einen Bissen und geh an die Schul zurück, daß wir nichts versäumen!
Mandel schluckte den Rest seiner Empörung nieder, sodaß zu hoffen war, der Beamte habe den Ausbruch nicht bemerkt. In Wirklichkeit hatte er auch nur in gedämpftem Tone gewütet und die Faust in der Tasche geballt. Um sich hierüber vollends zu beruhigen, trat der Alte an den Außenschalter, zog sein Käppchen und fragte demütig, ob vielleicht für jemand aus seiner Pilgerschar eine Sendung auf der Post lagere. Freilich wußte er selbst nicht, wer etwas senden sollte, allein man hotte beim Auszuge diesen Tag und diesen Ort den Zurückbleibenden bezeichnet. Er überreichte dazu dem Offizial eiu schmutziges Blättchen, auf dem sich das Namensverzeichnis befand.
Noch immer heiter gestimmt las dieser in bewunderndem Ton: Levy — Lem- berger — Augenlust — Wohlleben — Selig — und Tulpenblüt. Diese Familiennamen stammten bis auf den ersten aus frühern Wohnorten innerhalb der österreichischungarischen Monarchie und ans einer Zeit, wo die Juden gezwungen wurden, deutschklingende Namen anzunehmen, und wo sich an ihnen der Witz der Beamten übte. Dem Gewerbe nach waren sie: drei Tagelöhner, zwei Kramhändler, ein Schuh- Macher, nämlich Mandel Lcmberger, und ein Thoraschreiber. Der Beamte schaute fluchtig in seine Fächer, aber fand nichts. Viel gute Nachricht können Sie auch nicht erwarten, sagte er gutmütig, die Zeitungen schreiben von neuen Pogromen. Sie erfahren es früh genug, wenn Sie zurück sind.
Wir gehn nicht zurück, versetzte Tulpenblüt, und ein Schimmer von Stolz und icheuer Freude glättete einen Augenblick seine Runzeln. Wir gehn in die Heimat.
Wohin? Wie — wo ist denn das? ^ Mit Erlaubnis des Herrn Wohltäters — in das Land, das uns gehört. Nach Palästina.
Heiliger Joseph! Da unten nuuter? Ist das ein Unternehmen! Haben Sies «uch recht überlegt? Es kommen noch wieder bessere Zeiten für Sie iu Rußland — wenn Sie warteten.
^ Mose hat auch nicht warten wollen, daß aufkam eiu besserer Pharao. Und in ^abel sogar ging es den Unsern so gut, daß Nehemia gesessen hat an des Königs ^isch! Und doch wußten ihre Führer, daß ein Volk nicht leben kann in der Fremde. ^ sennen itzt schwere Zeiten. Wir sind abermals die Verstreuten im Lande Assur, °'e wiederkommen sollen.
Was meinen Sie damit — Assur? Assur! Ich kenn mich nicht aus mit Ihren Namen. ^ Ihr schreibt es „Russa" — Ihr schreibt von links nach rechts. Des Alten prechweise hatte etwas Bedächtiges und Sorgfältiges. Langsam formte er die Grenzboten II 1909 6S