Beitrag 
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Seite
400
Einzelbild herunterladen
 

40S

Maßgebliches und Unmaßgebliches

sie alle Empfindungsmomente ausschalten und mit kühlem Kopf das Ergebnis nachprüfen, nur Ja und Amen sagen können. Die Trinksprüche, die bei dem Festmahl in der Hofburg gewechselt wurden- die verlesen wurden, um auch nach außen hin deutlich zu bekunden, daß sie keine Improvisationen, sondern sorg­fältig überlegte politische Kundgebungen waren, zeigen, wie sehr die beiden Kaiser von der Bedeutung des Augenblicks durchdrungen waren, und was für ein Gewicht sie dieser Begegnung beilegen wollten. Deshalb wurde auch mit gleicher Wärme des Dritten im Bunde, des Königs von Italien gedacht, nicht nur in den beiden Triuksprüchen, sondern auch in dem gemeinsamen Telegramm, das Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm an ihn absandten, und das herzliche Erwiderung fand. Dadurch wurde zugleich die Verbindung zwischen der Wiener Monarchen­begegnung und der in Brindisi hergestellt. Die Zusammenkunft Kaiser Wilhelms und König Viktor Emmmels, die zwei Tage zuvor in Brindisi stattgefunden hatte, war etwas anders geartet; es war keine feierliche Kundgebung, sondern ein Besuch, der mehr persönlichen und intimen Charakter trug. Keine besondern Festlichkeiten begleiteten diesen Besuch; die Trinksprüche wurden nicht einmal im Wortlaut ver­öffentlicht. Trotzdem gehören beide Begegnungen zusammen; die genieinsame Grundlage ist der Dreibund. Über das Verhältnis Italiens zum Dreibund haben wir uns kürzlich schon ausgesprochen. Das Exempel geht, soweit die öffentliche Meinung des italienischen Volkes in Frage kommt, nicht ganz ohne Rest auf, darum dürfen wir uns nicht wundern, daß das Echo der Begegnung von Brindisi in der italienischen Presse kein reiner Widerhall ist. Wir haben aber schon neulich gezeigt, daß die Zugehörigkeit Italiens zum Dreibund für uns trotzdem von Wert ist, und wenn auch republikanische Strömungen, allerhand Gefühls­regungen und ähnliche Ursachen störend einzuwirken versuchen, so ist doch das Ver­hältnis der Herrscher und der Regierungen durchaus auf Vertrauen und Aufrichtig­keit gegründet.

Am 17. d. M. wird der Kaiser in Wiesbaden sein und dort wieder zum erstenmal »ach seiner Reise den Reichskanzler persönlich empfangen und sich über die politischen Fragen Vortrag halten lassen. Die Notwendigkeit einer politischen Aus­sprache zwischen Kaiser und Kanzler, sobald der Monarch nach mehrwöchiger Ab­wesenheit im Auslande wieder auf deutschem Boden eingetroffen ist, bedarf eigentlich keiner besondern Begründuug. Die Kvinbinativnssncht der Neugierigen wird trotzdem versuchen, besondre schwerwiegende Entscheidungen damit in Verbinduug zu bringen; sie wird aber wahrscheinlich eine Enttäuschung erleben, denn die Zeit für solche Entscheidungen ist noch gar nicht gekommen.

Neuerdings treten freilich starke Versuchungen an die Regierung heran, der in weiten Vvlkskreisen herrschenden Ungeduld und Erregung nachzugeben und mit einem kräftigen <zuos sxo! dazwischenzufnhren. Wir haben schon früher die Ansicht ausgesprochen, daß wir eine solche Taktik für nicht zweckmäßig halten würden. Sie wäre ein zweischneidiges Schwert. Man Hort jetzt so häufig wieder die Ansicht! Bismarck hätte es anders gemacht! Zunächst kann kein Mensch kontrollieren, ob das richtig ist. Bismarck hat in verschiednen Fällen sehr verschieden gehandelt, auch in solchen, die nach Ansicht der Uneingeweihten sehr ähnlich lagen. Was er in der gegenwärtigen Lage getan haben würde, lassen wir also besser dahingestellt. Nehmen wir aber einmal an, er hätte sich wirklich entschlossen, der Unfähigkeit des Reichstags durch einEingreifen", das heißt durch den Druck einer besondern Maßregel nachzuhelfen, so wäre das immerhin etwas außergewöhnliches gewesen, was mir durch das Gewicht der 'außerordentlichen Persönlichkeit Bismarcks hätte gerechtfertigt werden können. So sehr Fürst Bülow jetzt überzeugt sein kann, daß das deutsche Volk seine staatsmännische Persönlichkeit zu schätzen weiß und Ver­trauen zu ihm hegt, so tut er doch recht daran, in so ernsten Fragen unter den