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Maßgebliches und Unmaßgebliches
tadeln sie männlich, aber glaubt mir, nur weil es deutsche Laster sind; wenn ihr beim Fußmatch dem Nebenmenschen den Kopf zertrümmert oder im Boxen den Gipfel des studentischen Strebens erblickt, seid ihr leuchtende Blüten der Humanität und ernste Jünger der Wissenschaft. Diese Art Demokraten hassen den Despotismus und verabscheuen das Blutvergießen, vorausgesetzt, daß der Despot ein Deutscher war, und das Blutvergießen zum Vorteil Deutschlands anschlug. Das älteste Unrecht ist nicht verjährt, wenn es im Verdacht steht, irgendwie in seinen Folgen zur Unabhängigkeit des deutschen Volks geführt zu haben. Weder Genie noch Schönheit mildern das Urteil über längst verstorbne Fürsten uud Fürstinnen, falls sie auf deutscheu Thronen saßen, ihnen gegenüber wandeln sich alle starken Geister in Bettlakenprüfer nach Vehses Manier um: aber dafür durchschnüffeln sie die muffigsten Löcher von Versailles nach Herrlichkeiten der Rvkokozeit und halten euch die Parfüms der Maitresse des blödsinnigen Ludwigs des Fünfzehnten als Beweise der ältern, formgesättigten französischen Kultur unter die Nase. Noch ist der polnische Reaktionär nicht gefunden, der sich dazu erniedrigt hätte, Friedrich um seines Feldherrntalents und der Katharina um ihres Cäsarensinns willen die Zerreißung des eignen Vaterlandes zu verzeihen; in Deutschland gibt es Schriftsteller, die es ihrer Nation förmlich als Knlturlosigkeit und Tölpelei vorrücken, das Joch einer militaristischen Fremdherrschast abgeworfen zu haben. Der feilste Schmierfink eines panslawistischen Blattes würde es abweisen, dem Gegner zu dienen, ganze Scharen von deutschen Blättern dagegen machen auswärtige Politik, indem sie die Times, den Mattn und die Nowoje Wremja übersetzen. Auch der Chauvinismus ist eben nur ein Verbrechen, sofern er deutscher Chauvinismus ist. Und der Antimonar- chismus? Laßt uns dankbar sein. In den schweren Stunden, die wir dachten und sannen, was wir mit unsrer schwachen Feder doch vielleicht dazu beitragen könnten, das furchtbare Verhängnis des Krieges fernzuhalten, boten uns den einzigen Trost und die einzige Erheiterung gewisse reichsdeutsche Blätter — es waren diesmal, zu ihrer Ehre sei es gesagt, doch nur wenige —, die sich täglich stärker mühten, den Kronprinzen Georg ins Heldenmaß zu recken und seine Gassenbübereien als die Offenbarungen des serbischen Volkszorns zu interpretieren. Wir freuten uns, denn wir wußten doch ein bißchen mehr von dem Unterzeug dieser Herrschaften. Und als dann die Geschichte mit dem Tritt vor den Bauch öffentlich wurde, spitzten wir uns in Neugier darauf, wie die Braven sich nun winden würden. Es lohnte der Neugier. Er war wirklich lesenswert, dieser Ausbruch von Wehmut aus deutscher Demokratenbrust, diese grollende Klage gegen das Schicksal, daß ein ausländischer Prinz, der durch das tägliche Schmähen auf die deutschen Hunde im Sturm die Herzen aller Freiheitsfreunde erobert hatte, nun durch eine unzeitige Aufwallung seines edeln, aber stürmischen Temperaments der Popularität verlustig wurde.
Man gönne uns die Erheiterung. Da an unsern abgestumpften Nerven die gcwollte wohlbestallte Wochenkomik versagt, müssen wir uns der ungewollten offen halten, die aus so manchem Quell sogar täglich sprudelt. Wüßten die Leute, wie viele unübertreffliche Witzblätter in deutschen Landen erscheinen, deren Witz nur den Verfassern selbst verborgen ist . . . Aber suche jeder selber, uud wenn er dann findet, wird ihm auch manchmal das Lachen vergeh«. Denn er wird sich besinnen, daß Deutschland leider nicht unter einer Glasglocke steht, daß es in Europa liegt, ja in dessen Herzen. Und er wird sich sagen, daß es doch nicht völlig gleich- giltig sein kann, wenn unsre Nachbarn, die als Nachbarn auch in der Regel unsre Feinde sind, in den Gesinnungen Deutscher sozusagen ein Territorium in unserm eigne» Lande finden. Der Haß, der nns trifft — und wo ist der Deutsche Teutschlands und Österreichs heute nicht verhaßt? —, mag sich am Gegensatz der Interessen entzündet haben, er nährt sich ebensosehr am Vorurteil. Im Grunde spricht