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Maßgebliches Und Unmaßgebliches
War, nicht die persönliche Meinung des leitenden Staatsmanns, die sich vielleicht doch noch stärkern Einflüssen beugen müßte, das suchte Fürst Bülow durch die Forin des Empfangs darzutuu. Teils wirkliche, teils im parteipolitischen Interesse erheuchelte Begriffsstutzigkeit hat dem Umstände, daß Fürst Bülow die Deputation au der Spitze eiuer größer» Anzahl von Bundesratsbevollmächtigten mit einer gewissen Förmlichkeit empfing, die Deutung gegeben, das sei aus Vergnügen nn der Feierlichkeit geschehen, damit die Sache größeru Eindruck mache. Man darf wohl überzeugt seiu, daß Fürst Bülow bei den Herren, deren Ansprache er am 20. April entgegennahm, ein so kindliches Gemüt mit gutem Grund nicht vorausgesetzt hat. Er sprach auch ausdrücklich im Nameu der verbündeten Regierungen, wie schon aus den Worten hervorgeht: „Es ist der einmütige Wille der Verbündeten Regierungen, die Lösung der Frage uoch iu dieser Session des Parlaments herbeizuführen. Der Reichstag wird nicht auseinandergehn, bevor er endgiltig zur Finanzreform Stellung geuommeu." Wichtig war es, zu hören, daß die Verbündeten Regierungen die Juseratensteuer und die Gas- und Elektrizitätssteuer fallen lassen und auf Ersatzsteueru sinneu wollen, daß sie aber im übrigen an den Hauptgedanken ihrer Vorschläge und namentlich an der Ausdehnung der Erbschaftssteuer in irgendeiner Form festhalten.
Auf diese Regierungskundgebung hat nun die konservative Fraktion des Reichstags eine merkwürdige Antwort erteilt. Sie hat durch die Abgeordnete» Dr. Roesicke uud Graf Westarp den Entwurf einer Wertznwachsstener ausarbeiten lassen, die — wie ausdrücklich erklärt wird — nicht etwa zur Ergäuzung des durch die Reformvorschläge noch nicht gedeckten Finanzbedarfs des Reichs dienen, sondern an die Stelle der „uach wie vor abzulehnenden" Erbschaftssteuer treten soll. Die Wertzuwachssteuer soll auf Immobilien und Wertpapiere gelegt werden. Daß der ganze Vorschlag nur die Bedeutung eines taktischen Manövers, einer Demonstration gegen die Regierung und die Blockpolitik hat, geht schon daraus hervor, daß die Grundsätze des Antrags, der in der Finanzkommission eingebracht worden ist, in so unreifer und wenig durchdachter Form aufgestellt worden sind, daß man sie mit der Kölnischen Zeitung von vornherein als totgebornes Kind betrachten muß. Bezeichnend war, daß schon vierundzwanzig Stunden nach Erscheinen der Vorschläge in der Begründung die Schätzungen des Ertrages geändert werden mußten. Es gab eine Zeit — und es war nicht die schlechteste in der Geschichte der Partei —, wo man es im konservativen Lager verschmäht hätte, mit solchen Mitteln zu arbeiten, wo man es nicht über sich gewonnen hätte, ein unbrauchbares, oberflächlich begründetes, eilig zusammengestoppeltes Machwerk unter der Flagge der alten stolzen Partei hinauszusenden, nur um der Regierung Verlegenheiten zu bereiten und ein nützliches Werk aufzuhalten. Aber heutzutage wird eben alles auf die demagogische Wirknng berechnet. Nachdem man dem Volke soviel von der „widerwärtigen" Nachlaßsteuer vorgeredet und mit Übertreibungen, Entstellungen und Schlagworten die Methoden, die man früher mit berechtigten- Stolz verachtete, überboten hat, glaubt man einen besondern Eindruck zu machen, wenn man um jeden Preis eine Ersatzsteuer vorschlägt, auf die man das Stichwort „Besteuerung des unverdienten Vermögenszuwachses" anwenden kann. Dieses Stichwort könnte auch einer sozialdemokratischen Versammlung imponieren, und das Odium der NichtVerwirklichung solcher unverdauten und unausführbareu Vorschläge schiebt man dann sehr bequem der Regierung zu.
Schon der erste Satz der Begründung des konservativen Antrags enthält eine falsche Darstellung. Es heißt da: „Die Vorlage betreffend Besteuerung des Nachlasses hat zur Grundlage die Auffassung, daß durch dieselbe ein unverdienter