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Die Dame mit dem Orden :
(Fortsetzung)
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Die Dame mit dem «VrdeN

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werden; in Japan sei immer viel Lärm um nichts. Aber die Transsibirische Eisen­bahn hat jegliche Frachtbeförderung verweigert, weil sie so viel Soldaten und Proviant nach Wladiwostok zu schaffen haben.

Wladiwostok erinnert mich an unsern Sommerplau. Miß Dixon, die Lehrerin, die krank war, geht diesen Sommer nach Rußtand und ist ganz eckig darauf, daß ich mit soll. Es würde nicht viel teurer sein als in Japan zu bleiben und dabei ungeheuer interessant. Erwähne es, bitte, noch nicht zu Hause, aber schreib, was du darüber denkst.

Ich wünschte, du hattest gestern abend in mein Zimmer gucken können. Vier oder fünf der Mädchen schlüpften herein, nachdem die Abendglocke geläutet hatte. Wir saßen nms Feuer an der Erde und tranken Tee, wobei ich ihnen Photographien zeigte. Sie selber in ihren bunten Kleidern und mit roten Backen gaben ein so hübsches Bild ab. Alle meine Sachen entzückten sie, am meisten die Bilder von zu Hause, besonders die beiden von dir und von Jack, die ich in einen Doppelrahmen gesteckt habe. Zuerst hielten sie euch für ein Ehepaar, und als ich verneinte, machten sie euch zu einem Brautpaar. Dabei ließ ich sie.

Nachdem sie zu Bett gegangen waren, saß ich noch lange und studierte die beiden Bilder im Dvppelrahmen. Ich wunderte mich, wie es kommt, daß ihr, Jack und du, euch nicht doch noch verlobt habt. Ihr lebt beide mit dem Kopf in den Wolken. Ihr hättet eigentlich längst schon aufeinander losplatzen müssen. Er erzählte mir einmal, du hättest weniger Fehler als alle andern Frauen. Mir von andrer Leute Tugenden zu erzählen, war immer eine von Jacks Lieblingsbeschäftigungen.

Nun ist meine Frist abgelaufen, ich muß dir Gutenacht sagen. Ich stehe jetzt immer um fünf Uhr auf, um alles fertig zu kriegen, was ich vorhabe.

Hiroshima, den 31. Mai 1902 Unter der Bedingung, keinen langen Brief zu schreiben, ist es mir heute früh gestattet worden, einen an dich zu beginnen. Miß Lessing schrieb die letzte Woche, daß ich krank gewesen sei. So gehts, ich nahm mir zu viel vor und mußte mit zwei Wochen im Bett dafür bezahlen. Vielleicht werde ich mir in der nächsten Welt ein wenig Verstand aneignen, jedenfalls habe ich in dieser keinen. Japan paßt nicht für lebhafte, energische Leute. Wer nicht faul sein kann, hält es nicht lange aus.

Mir fehlen die Worte für Miß Lessings Freundlichkeit. Sie schlief mit mir, Pflegte mich und hatte mich lieb wie ihr eignes Kind. Auch die Mädchen waren rührend und haben mir fast stündlich Gaben geschickt. Eins der kleinen Mädchen stand bei der Andacht eines Abends ans, faltete die Hände und sagte: Lieber Gott, bitte mache die Hüpfsensei wieder gesnnd und hilf mir, meinen Mund still zu halten, denn sie ist so gut zu uns gewesen, und wir haben sie alle so lieb. Der Himmel weiß, daß die Hüpfsensei aller Gebete der ganzen Gemeinde bedarf, um brav zu werden.

Sobald die Schule geschlossen wird, brechen Miß Dixon und ich nach Rußland auf. Es ist gut, daß die Ferien nahe sind, denn ich habe es satt, Missionarin und Schultante zu sein, mit andern Worten: ich habe es satt, brav zu sein.

Sorge dich nicht um mich, es ist alles in Ordnung. Ich bin nur eben kaputt und brauche ein bissel Spaß, um mich wieder für ein Jahr frisch zu machen.

Kobe, den 16. Juli 1902 Hat dieses Datum Bedeutung für dich? Für mich sicherlich! Gerade heute vor einem Jahre schlössen sich die Pforten zwischen mir und allem, was mir lieb ist. Ich zog hinaus in die weite Welt, um meinen Kampf allein zu kämpfen. Und ich