Beitrag 
Amerika und die Dauerhaftigkeit seine politischen Verhältnisse. 1
Seite
208
Einzelbild herunterladen
 

203

Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

um sich eine Schutztruppe zu bilden. Aber eben die Reichtümer verstärken die Lockung für die Ausgeschlossenen. Die Unzufriedenheit greift um sich, es bilden sich Verschwörungen. Offner Aufruhr oder schleichender Mord be­drohen jede Regierung. Leicht kommt eine Revolution, ein Bürgerkrieg zu­stande. Siegt die andre Partei, der andre Diktaturprätendent, so wird au den allgemeinen Verhältnissen kaum etwas geändert, nur kommt die Gewalttat von der andern Seite. Die europäischen und nordamerikanischen Fremden kommen dabei meist noch leidlich weg, denn man wagt sich nicht an sie heran, weil man weiß, daß hinter ihnen die Macht ihrer heimatlichen Regierungen steht. Aber die eignen Bürger haben keinen fremden Schutz.

Die Vereinigten Staaten und Kanada sind ganz überwiegend protestantisch, das übrige Amerika ist noch viel überwiegender katholisch. Das offizielle Direktorium der römisch-katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten gibt (wohl für 1907) 12651944 Angehörige an. also reichlich ein Siebentel. Doch macht sich der konfessionelle Unterschied nicht übermäßig geltend. In den Vereinigten Staaten ist die Trennung von Kirche und Staat vollständig durchgeführt. Die Kirche ist nur Privatangelegenheit ihrer Angehörigen. Der Protestantismus ist vollständig zerklüftet in allerlei Sekten; zahllose Leute unterlassen es, sich einer bestimmten Kirche anzuschließen. Sogar das Taufen ist keine maßgebende Sitte mehr, wenn auch das Nichttaufen noch keineswegs den Bruch mit dem Christentum bedeutet. Die politische Macht der katholischen Kirche ist oft ganz übertrieben geschildert worden. Selbst in der Stadt Newyork, wo sie einst auf Grund des starken Bruchteils irischer Bevölkerung sehr groß war, ist sie sehr in den Hintergrund getreten. In den katholischen Republiken taucht gelegentlich eine klerikale Partei auf, aber nur als lockeres Gebilde. Denn Rom ist weit, zu weit, als daß es eine folgerichtige Politik betreiben könnte. Auch fehlt es an dem belebenden Gegensatz des Klerikalismus, einer ausgesprochen antiklerikalen Partei.

Das Menschenmaterial der spanischen Republiken ist ziemlich gleichartig von Mexiko bis Chile, nur tritt in den beiden südlichsten Republiken des Weltteils das Europäertum stärker hervor. Je näher dem Äquator, desto reiner kommt der kreolische Charakter des Staatsgebildes zum Vorschein. Venezuela, Colombia, sodann Zentralamerika sind am wenigsten vom Euro­päertum, namentlich von angelsächsisch-germanischem Blute beeinflußt. Das portugiesische Brasilien ist nur in der Sprache vom spanischen unterschieden, nicht im Charakter. Nur ist das Negerelement stärker. Brasilien selbst be­ziffert seine Neger und Mulatten auf 19^ vom Hundert, die Weißen auf 37,7 vom Hundert, Mestizen (Kreolen) auf 38 vom Hundert, doch ist es sicher, daß die Zahl der Weißen viel zu hoch angegeben ist. Es ist eine Ehre, Weißer zu sein; wer irgend kann, uennt sich Weißer. Trotz der Gleichartig­keit des Menschenmaterials und (mit Ausnahme Brasiliens) der Sprache ist es nie zu einer gemeinsamen staatlichen Bildung im spanischen Amerika ge-