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Über Schriftstellerei : übersetzt aus dem Englischen von Brix Förster
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Über Schriftstellers

Brutalität immer wieder vereitelt wird, noch dazu in einem Zeitalter weit vorgeschrittener Kultur? Einverstanden. Aber sind diese Verständigen und Aufgeklärten, sind die Autoren, Forscher, Professoren und alle übrigen Hoch­gebildeten immer ein Muster der Gerechtigkeits- und Friedensliebe, von tadel­losem Benehmen und reinsten Sitten? Sind sie wirklich die Repräsentanten all der Tugenden, auf denen die wahre Zivilisation beruht?

Ich muß dies verneinen. Es offenbart sich hier der Irrtum von rein theoretischen Einsichten. Die praktische Erfahrung belehrt uns jederzeit, daß eine bedeutende Persönlichkeit zwei Seiten haben kann, eine durch Intelligenz ausgezeichnete und eine in Moralität minderwertige. Ein Altertümler zum Beispiel kann ein großer Gelehrter sein und sich doch um die höchsten Güter der Menschheit gar nicht kümmern. Ein Historiker oder Biograph, ja selbst ein Poet kann ein Börsenspekulant, ein Salonbummler, ein wütender Chauvinist oder ein gewissenloser Intrigant sein. Und was dieLeuchten der Wissen­schaft" betrifft, welcher Optimist möchte behaupten, daß sie immer die Pfade der höchsten Tugend wandeln?

Jsts demnach mit den führenden Geistern schlecht bestellt, so sieht es bei denen, die auf ihre Worte hören, nicht viel besser aus. Das lesende Pu­blikum welch ein Jammer! Es wird kaum ein so findiger Statistiker auf­zutreiben sein, der nachzuweisen vermöchte, daß unter einem Dutzend Menschen, die gehaltvolle Bücher lesen, auch nur einer ist, der sie mit Verständnis liest. Hat wirklich jemand die naive Ansicht, daß die vortrefflichen und vornehmen Werke, die in stattlicher Anzahl eine willkommne Aufucchme in weiten Kreisen gefunden haben, so hochgeschätzt werden, wie sie verdienen? Man bedenke: die Leute, die solche Bücher kaufen, tun es, weil es die Mode erheischt, oder weil sie damit prunken wollen, oder weil sie stolz auf ihren nobeln Geschmack sind; andre verlockt ein recht schöner Einband; auch nimmt es sich gut aus, damit ein feines Geschenk zu machen. Vor allem aber muß man sich vorstellen, wie groß die Menge ist, die ohne Spur von Wißbegierde und ohne innern Drang Bücher kauft, jenes Heer der Halbgebildeten, das so charakteristisch für unsre Zeit und zugleich eine so drohende Gefahr für die Zukunft ist. Mit Vergnügen will ich einräumen, daß es darunter einige gibt, deren Sinnes- und Gemüts­art ihrem Leseeifer entspricht; ihnen zehn unter zehntausend! drücke ich in brüderlicher Liebe die Hand. Aber wie kann ich als Vorboten einer schönern Zukunft jene faden Burschen ansehen, die von Literatur schwatzen, die Bücher­titel und Autornamen in ihrer Dummheit verstümmeln oder mit affektiert näselndem Ton den Rhhthmus eines Gedichts verhunzen?

Man sagt,,,die Halbbildung werde eine Vollbildung werden; wir befänden uns in einem Übergangsstadium von der alten traurigen Zeit, wo sich nur wenige akademischer Bildung erfreuen konnten, zu einer glücklichen Zukunft, wo die ganze Jugend auf das ergiebigste unterrichtet werden würde. Diesen hoffnungsvollen Aussichten steht leider im Wege, daß Unterricht und Erziehung Dinge sind, für die sich nicht viele eignen. Man kann lehren und predigen, soviel man will, nur ein geringer Prozentsatz wird Nutzen daraus ziehen. Auf dürrem Boden gedeiht keine reiche Ernte. Der gewöhnliche Mensch bleibt ein gewöhnlicher Kerl; wird er sich mehr und mehr seiner Macht bewußt, macht er sich geltend in der Öffentlichkeit, bekommt er alle materiellen Mittel des Landes in seine Hand, wehe! Dann tritt in Wirklichkeit ein Zustand ein, der jetzt schon als fernes Gespenst jeden Engländer mit Bangen erfüllt.

Ein alter Bekannter, der Schriftsteller N,, besuchte mich neulich; schon sein Anblick tat mir wohl. Man sieht ihm an, daß er mehr Freudiges erlebt