Adel und Bauern in Osteuropa
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In Santa Catharina und Rio Grande do Sul findet der deutsche Auswandrer Anschluß an Sprachgenossen, die dort stellenweise zahlreich beieinander sitzen.
Von den Mängeln der Rechtspflege und der Verwaltung, die Brasilien ausweist, sei nicht weiter gesprochen. Darauf muß sich der Auswandrer in allen Neuländern gefaßt machen. Der Deutsche gewöhnt sich allerdings anfänglich schwer daran, weil er daheim an gesetzliche Ordnung gewöhnt ist und denkt, diese müsse sich auch auf andre Länder übertragen lassen. Wer es deshalb nicht nötig hat, auszuwandern, bleibt besser daheim im Vaterlande.
Adel und Bauern in Osteuropa
von Karl Dieterich 1
ie jüngsten Bauernrevolten in Rumänien haben die Aufmerksamkeit Europas wohl vorübergehend erregt und die Presse beschäftigt, doch, wie leider gewöhnlich gegenüber den Dingen im Osten und Südosten, auf Grund so unzureichender Informationen, daß von einem wirklichen Verständnis weder bei der Presse noch beim gebildeten Publiknm die Rede sein kann. Die folgende Betrachtung möchte das nachzuholen versuchen, was hier versäumt worden ist, und unter historischer Auffassung eine Skizze der Entwicklung und des gegenwärtigen Standes der Agrarver- hältnisse in den osteuropäischen Ländern überhaupt entwerfen. Nur die historische und die zusammenfassende Betrachtung wird imstande sein, wirkliches Verständnis zu schaffen; denn jene Länder gehören kulturgeographisch wie kulturgeschichtlich eng zusammen und bilden dem westlichen Europa gegenüber eine abgeschlossene, gemeinsame Gruppe, umfassend Nußland, die Donau- und Balkanländer und die Türkei. Diese Länder aber sind in Kirche, Recht und Wirtschaftsleben so stark von dem ältesten Staate des europäischen Ostens, von Byzcmz, beeinflußt worden, daß man auch ihre agrarischen Zustände ohne die von Byzanz nicht verstehn kann. Auf diese müssen wir darum zuerst einen Blick werfen.
Schon in dem sinkenden weströmischen Reiche nahmen die freien Gemeinde- Verfassungen in deniselben Maße ab, wie die großen Grundbesitze zunahmen. Der Keim dieser Erscheinung lag in den Steuerverhältnissen: die Erhebung der Kopfsteuer war ursprünglich Sache der Gemeindebehörden, später übertrug man sie den Grundbesitzern, und da somit deren Besitz aus den Gemeindekatastern ausschied und in die Prvvinzialkataster besonders aufgenommen wurde, sonderten sich die Grundstücke in zwei Gruppen, in die kleinen Bauerngüter und die großen Herrengüter. Jetzt konnten sich die Großgrundbesitzer erst zu einem eignen Stande zusammenschließen und ihre Macht stärken, während die kleinen Besitzer durch Erhöhung der Kopfsteuer unter Diokletian, Einfälle der Barbaren, Steigen