Neujalirsgedcttiken
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die indirekten Steuern in solchen Zeiten zurückgehe in friedlicher Zeit dagegen auch in ziemlicher Höhe mit Leichtigkeit getragen werden. Aber nicht nur Doktrinarismus steckt hinter solcher kurzsichtigen Steuerpolitik, sondern auch ein Stück Volksschmeichelei. Volksschmeichelei ist es auch, wenn man die untersten Schichten womöglich von allen direkten Abgaben ganz entlasten möchte, damit ihnen ja nur das ohnehin schwache Bewußtsein der Pflicht gegen den Staat möglichst ansgetrieben wird; Volksschmeichelei ist es, wenn allerorten auf eine weitere Demokratisierung des Wahlrechts und damit der einzelstaatlichen Volksvertretungen hingearbeitet wird, statt daß man unentwegt an dem Grundsatz festhielte: die Herrschaft im Staate darf unter gar keinen Umständen den Massen ausgeliefert werden. Aber heute kriecht man um die Wette vor dem „König Demos", und dieser Byzantinismus ist viel schlimmer als jeder andre.
Welchen angenehmen Kitzel mußte nun diesem umschmeichelten „König Demos" der jüngste Skandalprozeß verursachen! Wie ließ sich das benutzen, um die schönsten Tiraden gegen die sittliche Fäulnis der „obern Stände" nnd gegen den ganzen „Kapitalistenstaat" loszulassen, dem gegenüber die Tugend der „Genossen" in makelloser Reinheit strahlte! Gewiß, wo man moralischen Schmutz findet, da soll man ihn rücksichtslos auskehren, vor allem auf den Höhen der Gesellschaft, wenn man dort der alten Pflicht vergißt: Mvlosse odli^s und vergißt, daß das Schicksal eines Volkes von seinen führenden Ständen abhängt. Aber war es wirklich nötig, war es eine Forderung des allgemeinen Interesses, bis in die geheimsten Winkel des Privatlebens eines unbescholtnen hochgestellten und verdienten Offiziers hineinzuleuchten, um den „Wahrheitsbeweis" für die unter allen Umstünden beleidigenden Behauptungen des Angeklagten zu erbringen? Wenn das Mode wird, dann ist der Schuldloseste den Praktiken jedes unbedenklichen Rechtsanwalts wehrlos ausgesetzt. Daß die einst heißbegehrte, als Palladium einer unparteiischen Rechtspflege gepriesne Öffentlichkeit des Verfahrens ihre höchst bedenklichen Seiten hat, ist bei dieser Gelegenheit mehr als jemals hervorgetreten. Und das soll man uns nicht einreden, daß nur sittliche Empörung die Presse leitete, die, längst jeder Diskretion entwöhnt, diese schmutzigen Geschichten in alle Welt verbreitete und dabei auch noch Laster ganz unbefangen beinahe als etwas gewöhnliches besprach, von denen bisher kein anständiger Mensch öffentlich geredet hat. Nein, die Sensationslust hat da die Feder geführt, und Sensationslust hat diese breiten Berichte gierig verschlungen. Ja man ging weiter. Man verallgemeinerte diesen Fall und andre zu Anklagen gegen die Sittlichkeit in der Armee, die ein Pestherd sein soll. Pharisäer! Wenn unser Heer das Volk in Waffen ist, dann sind ihre Tugenden und Untugenden die des ganzen Volkes in allen seinen Schichten, und nicht in der Armee liegt der Herd des Verderbens, sondern tiefer.
Kein Wunder! Unsre Zeit scheint mehr und mehr zu vergessen, daß es ewige sittliche Gesetze und unantastbare schwererrungne Kulturgüter gibt, auf die kein Volk verzichten kann und darf, wenn es nicht der ärgsten Barbarei