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Flottenfragen und Weltpolitik
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Flottenfragen und Weltpolitik

fühlten sich von der Wahrheit des Schillerschen Worts durchdrungen: Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. Der böse Nachbar sollte eben Deutschland sein, früher war es Frankreich.

Man wundert sich in Deutschland darüber, daß eine so auffüllig irrtümliche Ansicht in England überhandnehmen konnte und gar nicht auszurotten ist. Aber solche Anfälle von politischer Hysterie kommen nicht bloß in England vor; spukt uicht in Deutschland auch seit einigen Jahren in der Mehrzahl der Blätter die Fabel von der sogenanntenEinkreisuugspolitik"? Dergleichen zeugt von einem wenig sichern Nationalgefühl, von Mißtrauen in die eigne nationale Kraft und wird auch im Auslande dahin ausgelegt. Wir glauben nicht, daß die immer wieder zur Schau getragne Furcht vor Deutschland dem Ansehn Englands nützlich ist. Um aber noch ein Wort über die Einkreisungs­politik zu sagen, so möchten wir die Frage aufwerfen, ob sich die Bangemacher jemals eiue klare Vorstellung vom Wesen des Dreibunds, oder wenn wir selbst noch Italien außer Spiel lassen wollen, von dem des Bündnisses zwischen Deutschland und Österreich gemacht haben? Jede dieser beiden Mächte ist davon überzeugt, daß die eine für die andre eintreten muß, denn sobald eine zuläßt oder gar dabei mitwirkt, daß die andre niedergeworfen wird, dann kommt sie an die Reihe. Auf diesem einfachen Zusammenhange beruht das Bündnis der beiden Kaiserstaaten, von dem sie gar nicht lassen können, solange überhaupt noch politische Begehrlichkeiten in Europa eine Rolle spielen, von denen hier nur die immer noch nicht ausgerottete Revanchelust der Franzosen erwähnt zu werden braucht. Gegen die Macht des durchaus natürlichen Bündnisses der beiden mitteleuropäischen Reiche, die im Ernstfalle ohne über­mäßige Anstrengung achtzig wohl ausgerüstete Armeekorps mit allen Offizieren und Unteroffizieren aufstellen könnten, ist eine Einkreisungspolitik weder gegen das eine noch gegen das andre Kaiserreich möglich. Am allerwenigsten in der Gegenwart, wo Frankreich wegen der Abnahme des jüngern Nachwuchses seine Armee verringern muß, und Rußland noch Jahre zu tun haben wird, bis es sein Heer wieder reorganisiert hat. Auch der Hinweis auf die in frühern Jahrhunderten von England betriebne Politik, die Feindschaften der Festland­mächte zu schüren und sie gegeneinander zu unterstützen, um inzwischen seine Seeherrschaft auszudehnen, ist nicht mehr angebracht, denn das britische Weltreich hat bei der heutigen politischen Lage ganz andre Sorgen, als europäische Mächte gegeneinander zu Hetzen und sich unversöhnte Feinde im Rücken zu schaffen.

Wenn in England unter diesen Umständen trotzdem bei allen schicklichen und unpassenden Gelegenheiten die angebliche deutsche Gefahr immer wieder in der öffentlichen Erörterung erscheint wenn sie auch hinterher durch offiziöse Beschwichtigungen stets in Abrede gestellt zu werden Pflegt, so muß doch in der englischen Volksseele eine Reihe von Erfahrungen, Befürchtungen und Einblicken in gewisse Mängel einen Zustand geschaffen haben, der sie bei