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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Ein Neuhegelianer. Ferdinand Jakob Schmidt, der Religionsphilosoph der Preußischen Jahrbücher, hat seine in diesem Organ veröffentlichten Abhand­lungen unter dem Titel Zur Wiedergeburt des Idealismus (Leipzig, Dürrsche Buchhandlung, 1908) in Buchform herausgegeben mit einer die Gruudzüge seiner Philosophie zusammenfassenden Einleitung. Als die wichtigste Leistung des hellenischen Denkens erscheint ihm die Erkenntnis, daß es der Geist ist, der die Welt schafft. Aber die Kraft, von dieser Erkenntnis aus Natur und Menschenwelt umzugestalten und zu verklären, wohnte nicht schon der griechischen Philosophie inne, sondern erst der Religion, die lehrt, daß Gott Geist ist, und daß man ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten müsse. Doch blieb in der alten Kirche der Geist noch als suprcmaturaler dem in seinen natürlichen Lebensbedingungen verharrenden Glaubigen entgegengesetzt; nur als Glied der Kirche trat dieser zu ihm in Beziehung. Der Protestantismus befreit die Individuen aus dieser Gebundenheit an die Kirche und bahnt die Vergeistigung der Natnr und des gesamten natürlichen Menschenlebens an. Jedoch ist das nicht schon dem ursprünglichen Protestantismus der Reformatoren gelungen, die noch vielfach im Mittelalter stecken blieben, sondern erst dem Hegelschen Idealismus, der den denkenden Geistern den schöpferischen Logos erschloß unddie Methode des Totalitätsdenkens" lehrte, in dem sichdie wahre und vollkommenste Einheit des Menschen mit Gott vollzieht". Allerdings zunächst nur theoretisch. Praktisch wird die Vergottung erst durch den Kapitalismus. Nicht etwa dadurch, daß Kapitalien im Privatbesitz aufgehäuft werden, sondern dadurch, daß er die Natur vergeistigt und die ganze Natur durch Steigerung der Güterproduktion ins Unendliche der gesamten Menschheit dienstbar macht. (Das tut doch die Technik; das Großkapital dient dabei nur als ein vorläufig allerdings noch unentbehrliches Werkzeug. Übrigens wird die Natur selbst dadurch nicht vergeistigt, daß der Mensch ihren einzelnen Bestandteilen, indem er sie zu Maschinen umformt, sein Gepräge aufdrückt.) Das nächste Ziel der Entwicklung ist dieuniverselle Ver­gesellschaftung", die erst den wahren Menschen hervorbringen wird; denn nur der ist ein wahrer Mensch,der ein Repräsentant der Totalität der Menschheit ist", nnd das wird er nurdurch die sittliche Arbeit aller für alle". Kirche und Staat sind nur Mittel, diesen wahren Menschen vorzubereiten und durch Erziehung zu schaffen. Ist er vorhanden, so dient jeder dem Zwecke aller, wie die Allheit den Zweck jedes einzelnen erfüllt. So erhebt sich der einzelne zur Totalität uud wird damit erst frei von der sinnlichen Beschränktheit seines natürlichen Daseins. Nun zwingt ihn kein fremder Wille mehr, denn der Wille aller ist zugleich seiu Wille." Im einzelnen enthalten die Aufsätze des geistvollen Mannes viel Interessantes und Beherzigenswertes; so die Antwort auf die Frage, warum der erste Versuch des Massengeistes, die Gesellschaft vernünftig zu gestalten, die Französische Revolution, mißglücken mußte, den Nachweis, daß Marx die Lösung der Aufgabe, Hegels Theorie praktisch zu verwende», verkehrt angegriffen hat, eine Kritik der Lehre Max Webers von der protestantischen Askese uud ihrem Zusammenhange mit dem kapitalistischen Geiste. Sehr schön sind die letzten zwei Abhandlungen, in denen die Forderung begründet wird, in unsrer Zeit, wo sich die Männer mehr und mehr der technischen Arbeit widmen, müssedas gesamte Mädchenschulwesen der Träger der humanistischen Bildung sein". Was jedoch seine hegelsche Religion betrifft, so wird sie sich schwerlich jemals znr Volksreligion eignen. Sie ist un­gefähr die Religion Eduards von Hartmann (abgesehen von deren pessimistischer Färbung) und die des Hartmannapostels Arthur Drews. Mit beiden ist unserm Neligionsphilosophen gemein, daß er die Bedeutung der Persönlichkeit des historischen Jesus gering einschätzt und den Wert des Christentums in dessen Christologie findet, die die hegelsche Erkenntnis der Einheit des göttlichen mit dein Menschen- geiste vorbereite. Aber Drews bestimmt das Verhältnis des Neuhegeltums znm