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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Bedürfnisse hat. Diese Erscheinung fällt fremden Beobachtern viel leichter auf als den zunächst Beteiligten; nur wird sie in der Regel falsch gedeutet, denn die Völker kennen sich gegenseitig gewöhnlich recht schlecht. Sie führen alles auf rein Persönliche Eigenschaften der Herrscher zurück, was zu einem guten Teil den nationalen Eigentümlichkeiten, dem Charakter und den Einrichtungen des Volkes, dessen feinfühliger Repräsentant der Herrscher ist, zugeschrieben werden müßte. Die Engländer halten Kaiser Wilhelm für einen gewaltigen Autokraten, weil sie von ihrem Standpunkt aus für die Überlieferungen und Eigenheiten der Hohenzollern- dynastie, für die historischen Bedingungen dieses Königtums keinen richtigen Maß­stab und kein rechtes Verständnis finden. Es kommt ihnen nicht der Gedanke, daß der Kaiser konstitutioneller ist, als er sich zu geben scheint, und daß der ent­gegengesetzte Eindruck nur aus einem geschichtlich berechtigten, stolzen Bewußtsein innerer Einheit zwischen Fürst und Volk entsteht. Sie kennen unsre staatlichen Einrichtungen und den Geschmack unsers Volkes zu wenig, nm zu verstehn, daß der Deutsche trotz der leidigen Gewohnheit des Räsonierens und Kritisierens gerade Freude daran empfindet, daß der Mann, der an der Spitze des Reiches steht, sich auch dieser Stellung entsprechend fühlt und nicht Nur ein Abstraktum, eine Idee, einen staatsrechtlichen Begriff darstellt. Die Engländer meinen nun, das deutsche Volk sei unfrei, ganz dem persönlichen Willen des Kaisers anheim­gegeben, und dieser Gedanke, daß ein großes, militärisch geschultes Volk ganz einer einzigen, starken, impulsiven Persönlichkeit ausgeliefert sei, peinigt sie und erfüllt sie mit Mißtrauen. Dasselbe aber, was sie an unserm Kaiser nicht recht begreifen können, finden sie an ihrem eignen König ganz natürlich und selbstverständlich.

Mit König Ednard geht es uns Deutschen im Grunde ganz ähnlich. Zweifel­los hat er einen ungewöhnlichen politischen Einfluß und erfreut sich einer persönlichen Macht, wie sie seit zweihundert Jahren kein englischer König besessen hat, obwohl die geschriebnen Gesetze und die bestehenden Einrichtungen des Landes seitdem kein Iota den Kronrechten hinzugefügt haben, im Gegenteil der bewußte Genuß der Volksfreiheit und das entschied»« Streben, die Schranken der Königsgewalt aufrecht Zu erhalten und womöglich zu verengen, eher eine Zunahme erfahren hat. Das Geheimnis liegt darin, daß König Eduard eben ganz und gar ein König nach dem Herzen der Engländer ist, der geborne Repräsentant des englischen Volkes mit seiner ganzen Eigenart und seinen Traditionen. Was der anerkannt erste Mann in einem Großstaate mit Jahrhunderte alten Traditionen wirklich vermag, hängt eben nicht von geschriebnen Satzungen ab. Wir sehen wohl diese auffallende Tatsache des außerordentlichen persönlichen Einflusses, den ein englischer König ausübt, aber der Durchschnitt unsrer öffentlichen Meinung erkennt zu wenig, wie dieser Einfluß zu­stande kommt. Man sieht persönliche Neigungen und Stimmungen, wo der König doch nur der vielleicht zu geschäftige Mandatar der englischen Interessen ist.

Aber so wie die Dinge nun einmal liegen, wo die Persönlichkeiten der beiden Herrscher so sehr im Vordergrunde stehn, und die beiden Nationen alles, was sie gegenseitig beschäftigt und erregt, dem Herrscher der andern auf das persönliche Konto schreiben, hat die Frage der persönlichen Beziehungen zwischen den beiden Monarchen auch wirklich eine Bedeutung erlangt, die geradezu unbegreiflich erscheinen müßte, wenn man die Verfassungen der beiden Länder ansieht. Es hat bekanntlich längere Zeit eine Spannung zwischen Kaiser Wilhelm und König Eduard bestanden, die bei dem Unterschiede des Lebensalters, der Verschiedenheit der Temperamente der beiden nahen Verwandten wohl erklärlich war, und die durch gewissenlose Zwischentrcigereien gelegentlich verschärft wurde. Daß diese Spannung jetzt beseitigt ist, muß im Interesse der Beziehungen zwischen Deutschland und England mit