Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren
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schritt puterrot vor Verlegenheit zwischen den beiden Schützen, die sie abführten, zur Wache.
Dem Geraer Schützenfeste folgte das Weimarer. Dort war der Festplatz auf der Schießhauswiese auf dem rechten Jlmufer. An dem Tage, bevor wir ankamen, war der Zirkus Hagenbeck, der dort gestanden hatte, wieder abgereist und hatte das Unglück gehabt, daß einer seiner beiden Packwagen, als er in der Nacht um zwölf Uhr zur Bahn fuhr, verunglückt war. Die Bremse hatte versagt, und die Fuhrleute hatten den Packwagen an einen mit zwei Bremsen versehenen andern Wagen angekettet. Aber die Kette war gerissen, der Fuhrmann gestürzt, und die mit dem Wagen den Berg hinabstürmenden Pferde hatten das Geländer der Jlm- brücke durchgebrochen und waren in den Fluß hinabgestürzt, wo sie tot liegen blieben.
Eine merkwürdige Erscheinung des Festplatzes war der „Einsiedler vom Thüringer Walde," ein Publikspieler im Eremitenkostüm, der sich mit dressierten Katzen, Mäusen, Tauben und einem zahmen Iltis produzierte. Er nahm gewöhnlich den Iltis auf den Arm und wanderte damit auf dem Platze umher, bis eine genügend große Menschenmenge um ihn versammelt war, die ihm dann zu seinem Stande folgte und der Vorstellung beiwohnte. Später vergrößerte er sein Geschäft, indem er sich zwei Käfige mit Affen anschaffte.
Über Apolda, Fulda und Ludwigshafen reisten wir nach Mannheim zur Messe, wo unter andern auch Johann Schichtl mit seinem Marionettentheater stand. Dieser leitete seine Vorstellungen mit einem sogenannten „Kaulautzki" ein, d. h. einer komischen Szene, wobei die beiden Darsteller auf einer Bühne erscheinen, die durch eine so hohe Schranke nach dem Publikum zu abgesperrt ist, daß man nur die Oberkörper sieht. An dem Rumpse der Darsteller sind kleine Gliedmaßen angebracht, die ähnlich wie auf dem Kasperletheater bewegt werden. Eine stehende Figur bei dem Schichtlschen „Kaukautzki" war ein französischer Veteran in Uniform, der gebrochen Deutsch sprach und in seinem Kauderwelsch mit dem Direktor verhandelte. Dieser gab ihm scherzhafte Rätsel auf und erzählte ihm von seinem Rundgang über die Messe, wobei er seine Erlebnisse in den einzelnen Geschäften in humoristischer Weise schilderte. Das wirkte hier in Mannheim um so stärker, als des schlechten Wetters wegen die übrigen Schaubudenbesitzer geschlossen hatten und sich ziemlich vollzählig bet Schichtls Vorstellungen einfanden.
Von Mannheim zogen wir weiter über Heidelberg, Pforzheim, Lindau, Pirmasens nach St. Jngbert in der Rheinpfalz, wo Markt war, und wir trotz unsern: schlechten Platz ein gutes Geschäft machten. Hier wollten wir die diesjährige Tournee beschließen und suchten nach einem Raume, wo wir unser Geschäft einstellen konnten. Schließlich fanden wir außerhalb des Orts eine Mühle, deren Besitzer uns eine Remise zur Verfügung stellte. Wir wurden der Verabredung gemäß entlassen, unsre Herrschaft begab sich wieder nach Harburg, und ich reiste über Bingen, wo ich eine Kiste Wein kaufte und nicht verfehlte, Kätchen einen Besuch abzustatten, nach Neichenbach im Vogtlande, wo ich mich bei einem dort verheirateten Bruder angemeldet und nach Arbeit erkundigt hatte. Von Reichenbach aus machte ich zunächst meinen Eltern in Lengenfeld einen Besuch, blieb dort einige Tage und bekam dann in Reichenbach Arbeit in der Färberei, wo mein Bruder beschäftigt war. Ich mußte den ganzen Tag in dem feuchten Raume der Spülerei stehn und erhielt einen Wochenlohn von vierzehn Mark. An einem Donnerstag Abend gegen sechs Uhr kam einer der Arbeiter zu mir uud sagte, draußen stehe ein Schutzmann, der mich zu sprechen wünsche. Ich händigte der Vorsicht wegen das Portemonnaie und das Taschenmesser meinem Bruder ein und behielt nur die Primdose bei mir. Der Schutzmann fragte mich nach meinem Namen und forderte mich auf, ihn zum Bürgermeister zu begleiten. Dieser teilte mir mit, es sei aus Harburg ein Schreiben eingetroffen, worin angezeigt würde, daß ich in Militärangelegenheiten noch eine Strafe von zwanzig Mark zu zahlen hätte. Auf meine Erwiderung, ich hätte aber kein Geld, fragte mich der Bürgermeister, ob ich vorzöge, die drei Tage ab- Grenzboten III 1S0S 62