Schulfragen
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Gleichgewicht wiederherstellen kann. Was da versäumt wird, kann oft nie wieder gut gemacht werden, und schon viele junge Leute sind an dieser Klippe gescheitert. Die Familie aber ist während dieser Zeit fast ganz außer Wirkung gesetzt, weil der Schüler gar nicht die Zeit hat, in dem Kreise von Eltern und Geschwistern zu verkehren und diese fast nur bei den Mahlzeiten sieht. Benutzt er einen Sonnabendnachmittag zu einem Ausflng mit seinen Mitschülern, zum Rudern oder zum Ballspiel, dann muß er sicher am Sonntag vor dem Schreibtisch sitzen und Schularbeiten anfertigen.
Die Schule kann die Erziehung des jungen Menschen nicht allein übernehmen, besonders nicht in den Großstädten (und um diese handelt es sich hier immer), wo die überfüllten Klassen und die daraus erwachsende Überbürdung mit Arbeiten den Lehrer hindern, sich mit dem einzelnen Schüler eingehend zu beschäftigen; wenn nun auch noch das Hauptmittel in der Erziehung, das Elternhaus, durch die bestehenden Verhältnisse gelähmt wird, dann liegt die Gefahr nahe, daß die jungen Leute nicht gefestigt und kräftig genng ins Leben hinaustreten und sehr oft den an sie herantretenden Versuchungen erliegen. In der Bummelei des ersten Semesters auf den Hochschulen reagiert das mißhandelte Gehirn des jungen Mannes gegen den Drill und die Hatz der höhern Schule. Leider findet sich mancher vielversprechende Jüngling oft nicht wieder heraus aus diesem Leben und geht zugrunde. Sehr bedenklich muß eine Aufstellung machen, die seinerzeit unwidersprochen durch verschiedne deutsche Blätter gegangen ist; danach leiden im Deutschen Reich vier vom Hundert der Soldaten, neun vom Hundert der Arbeiter, sechzehn vom Hundert der Kaufleute und fünfundzwanzig vom Hundert der Studenten an Geschlechtskrankheiten. Was in Großstädten von Schülern höherer Lehranstalten in geschlechtlicher Beziehung gesündigt wird, ist schlimmer, als die meisten glauben. Die Ärzte können am besten darüber Auskunft geben, die Schule hat sich diesen Dingen gegenüber bisher fast ohne Ausnahme ablehnend verhalten und sie der Familie zugewiesen. Und doch trägt sie durch die Überbürdung einen Teil der Schuld an solchen Ausschreitungen und wird im Interesse der Volksgesundheit nicht umhin können, sich in Zukunft auch mit dieser Frage zu beschäftigen. So dankenswert es ist, daß im letzten Jahre die Direktoren einiger höhern Lehranstalten die Abiturienten vor ihrem Abgang von der Schule durch Ärzte über die traurigen Folgen geschlechtlicher Verirrungen haben aufklären lassen, so ist das für manche doch zu spät; es muß schon früher damit begonnen werden. Wann und wie, das zu erörtern muß den Fachzeitschriften überlasten werden. Ohne innige Verbindung mit dem Haus geht es nicht; diese aber kann nur hergestellt und aufrecht erhalten werden, wenn die schwer überbürdeten Lehrer und Direktoren in ihrer Last erleichtert werden.
Die ältern Schülergeschlechter, die vor dreißig und vierzig Jahren auf der Schulbank gesessen haben, denken im allgemeinen gern an jene frohe und glückliche Zeit zurück; bei den jüngern dagegen scheint sich allmählich ein förmlicher Schulhaß zu entwickeln. Zum Beweise dafür mag auf das in vieler Beziehung maßlose Buch von Arthur Bonus „Vom Kulturwert der deutschen Schule" verwiesen werden. Er behauptet, daß das Gymnasium direkt zur Lüge und