Maßgebliches und Unmaßgebliches
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unsern Stationen litten wir nie an etwas Mangel, während die Preußen an unsrer Seite Hungers starben" (!), ,
Wellington hatte leider vergessen hinzuzusetzen, daß die Preußen, die am 16. Juni bei Ligny gefochten hatten, den 17. und auch den 18. bis zum Nachmittag marschiert waren, dann die Entscheidung bei Belle - Alliance durchgeführt hatten und unmittelbar, den Franzosen auf dem Fuße, zu der rastlosesten Verfolgung aufbrachen, die die Kriegsgeschichte überhaupt kennt! Wellington dagegen folgte mit seinem Heere, das überdies doch zu einem recht starken Bruchteil aus Deutschen bestand, erst nach zweitägiger Rast, nachdem er alle seine Trains und Verpflegungskolonnen herangezogen hatte, auf einer von dem französischen Heere völlig unberührten Straße, während die Preußen die Straße einschlugen, die der Feind auf dem Vor- und dem Rückmarsch benutzt hatte, und an der allerdings nur mit Not und Mühe noch Lebensmittel aufzutreiben waren. In der Eile ihres Ver- folguugsmarsches, ohne allen Verpflegungsapparat, mußten die Preußen nehmen, was uud wo sie es fanden, während sich Wellington dazu sowohl der Landesbehörden als auch seiner eignen Kriegskvmmissaricite bedienen konnte. Die Preußen hatten zum großen Teil ihren Verpfleguugsapparat, Intendantur, Proviant- kolonnen usw. seit dem 15. Juni Abends nicht mehr zu sehen bekommen, fast eine Woche lang, weil sie am 13. zur Rettung Wellingtons abmarschierten, ohne bei ihrem Eilmarsch die Heranziehung ihrer Kolonnen abwarten zu können. Weiter machte Wellington in seiner Rede falsche und willkürliche Zahleuangaben über die Stärke der preußischeu Armee von 1815 und ihre Verluste. Die Äußerungen des Herzogs fanden damals die verdiente amtliche Zurückweisung durch die Generale Müffling und Grolman im Militärwochenblatt und durch den General Rühle von Lilienstern in der Tagesprcsse. Der damalige Chef des preußischen Generalstabs, General Krauseueck, schrieb darüber an Rühle, wie aus soeben bekannt gewordnen Familienpapieren hervorgeht^): „Ihre Belehrnng des Allerweltsfeld- marschalls, mein teurer Freund, ist zu schön und angemessen, als daß mau ihre baldige Verbreitung nicht in mehrfacher Richtung wünschen sollte. In der Allgemeinen Zeitung ist der Angriff für das deutsche, i. s. preußische Publikum erschienen, in dieser wird man also zunächst die Zurückweisung suchen. Es möchte daher doch gut sein, daß wir Ihren Aufsatz nach der Augusta der Vindelicier spedieren. Die Abschrift würde ich besorgen lassen, Schwierigkeiten wird ja die Aufnahme wohl nicht finden. Das amtliche Opus mag dann in den preußischeu Zeituugen erscheinen, in die es gehört, von Rechts wegen!"
So Krauseneck. Als ungemein charakteristisch für Wellington erscheint ferner ein Brief, den er am 19. Juni Morgens vier Uhr, also gleich nach der Schlacht, an seinen in Brüssel zurückgebliebnen Privatsekretär Sir Charles Flint geschrieben hat, und worin es wörtlich heißt: „'VVnat, äo ?ou tiiiuk ok tluz total äsksat ok Laoua- p-u-to b^ tlis Lritiso L,rm??" Sein Ausruf vom Mittag zuvor: „Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen," war ihm offenbar schon in Vergessenheit geraten. Der Brief ist im Mai dieses Jahres auf der Auktion bei Svtheby in London für zweitausend Mark verkauft worden und so zur Kenntnis weiterer Kreise gekommen.
Diese Dinge sollen hier nicht erwähnt werden, um Öl in das Feuer der bestehenden deutsch-englischen Verstimmung zu gießen, sondern um darzutun, daß Deutschland uicht erst einer Flotte oder eines maritimen oder kommerziellen Aufschwungs bedurft hat, sich das Mißfallen hoher englischer Kreise zuznziehn, die schon vor siebzig und vor neunzig Jahren nicht einmal an die ihnen von den Preußen mit Einsetzung aller Kräfte und mit schweren Verlusten geleisteten Freundschaftsdienste erinnert sein mochten. Darum aber ist auch die oft gehörte Behauptung, daß Deutsche und Engländer natürliche, auf einander angewiesne Verbündete seien,
*) Aus den Papieren der Familie von Schlemitz. Berlin, 190S, Eduard Trewendt.