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Der fromme Maier
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Der fromme Maier

machte, fing sie sofort an zu berichten: War das eine Nacht. Kein Auge hab ich zutun können. Und mitten im ärgsten Sturm stirbt das Kind da drüben. Ich sag, das bedeutet etwas. Man kann nicht wissen, was. Aber das Wuotesheer war heute Nacht in der Luft, das laß ich mir nicht nehmen. Jetzt sitzt die arme Person drüben und weint sich die Augen aus dem Kopf. Nun ja; tot ist tot. Aber ich sag, sie soll froh sein uud Gott danken. Denn was hätt das Kind gehabt auf der Welt? Zehn Jahre alt. und ein nettes Kind, alles, was wahr ist. Aber der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Die Wirtin hielt in ihrem Redefluß inne und sah mit erstaunten Allgen auf ihren Mieter. Der war in einer offenbaren Erregung, und das war etwas so Ungewohntes an dem steten Menschen, daß es einem wohl die Sprache rauben konnte. Er öffnete das Feilster und hielt die Hand hinaus, so recht in den plätschernden Regen, und als sie ganz unzweifelhaft naß war, schüttelte er den Kopf und verzog das Gesicht, wie in einem innern Krampf.

Ein Vergnügen ists nicht, das sagte er zu sich selbst, es regnet den ganzen Tag fort. Es kann mirs kein Mensch zumuten, das. Aber darum doch. Mir tut das Naßwerden nichts. Und das Kind ist tot und muß einen Strauß haben. Jawohl, uud

Da zog er die Stiefel an und stampfte dabei, laut und kräftig, als ob er irgend einem unsichtbaren Feind eins zu versetzen habe.

Nun fand die Frau die Sprache wieder. Hören Sie, Maier, sagte sie, ich red Ihnen nichts drein. Das sag ich immer: nnr nichts dreinreden; man muß die Leut machen lassen. Aber bei dem Wetter hinaus, das ist doch mehr als

Sie wußte nicht recht weiter; und inzwischen setzte ihr Mietmann den Hut auf, den alten, grünlichen Werktagsfilz, und schlug den Rockkrageu in die Höhe, den Krage» des braunen, verschossenen Geschäftsrocks.

Und, erzählte sie nachher ihrer Flurnachbarin, gelacht hat er so leis vor sich hin, und kein Wort mehr gesagt, und ist in den Regen hinaus gelaufen, weiß kein Mensch, warum und wohin. Was der in sich drin hat, das weiß auch kein Mensch.

Aber es war auch nicht nötig, daß es irgend ein Mensch wußte. Da schob er sich durch die Straßen, die vor Nässe glänzten, und hielt die Schultern etwas nach vorn geneigt und nickte beim Gehen mit dem Kopfe, wie ein braver, gedul­diger Karrengaul. Von dem Hute lief bald ein schmales Rinnlein, einer Dach­traufe gleich, auf den braunen Rock. Aber dem Mann unter dem Hute war es frei und froh zumute. Halli, hallo! Er hatte in seinem ganzen Leben nicht ge­jodelt, und er jodelte auch jetzt nicht; aber irgend etwas in seinem Innern klang doch so. Er fragte nichts nach den Leuten, und nichts nach dem Regenwetter, und nichts nach dem hellen Fräulein in der Villa; gar nichts fragte er nach irgendwem und was. Er war ein Freiherr und wußte es. Er lachte, als es ihm einfiel. Er ging hier durch den Regen, weil er wollte, und wußte warum. Das war das Schöne daran.

Es war gerade auf der Höhe, von der aus man die ganze Stadt liegen sieht. Sie war so recht in ein nasses Grau eingesponnen; in den Wolken saßen die Spinnerinnen und zogen graue Fäden, unermüdlich, unermüdlich; es war schon ein ganzes Gewebe daraus geworden. Aber ihm lachte doch das Herz. Es war ja wohl traurig, daß das Kind gestorben war. Es ging ihm ein paarmal durch den Sinn. Aber vielleicht war es ihm wirklich gut gegangen, da mochte die Frau Recht haben. Und es sollte einen Strauß haben, umsonst, einen großen, schönen. O, er wollte schon finden, was dazu gehörte. Einen ganzen Arm voll, Wenns sein mnßte. Er kannte ja den Wald, er war darin zuhause.

Da war er schon an seinen Toren, da wo die großen Eichen den Eingang bilden. Er schüttelte den Hut aus, ehe er hineintrat, und schüttelte sich in den Schultern, daß der Tropfenregen um ihn herstob. Dann ging er weiter. Und der Sonntag grüßte ihn überall.