Beitrag 
Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse :
(Schluß)
Seite
748
Einzelbild herunterladen
 

748

Uonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

sich dazu hin und her und mnrmelten Sprüche vor sich hin. Durch eine Tür, schräg uns gegenüber, traten immer noch neue Andachtsbegierige ein, wurden rasch mit Kaftcm und Kappen bekleidet, setzten sich mit in die Reihe und fingen ebenfalls an, sich zn wiegen uud zu murmeln. Auch drei Knaben nahmen Platz, davon einer mit einem wahrhaft idealen, begeisterten Gesicht, das Hauschild zu meinem Erstaunen alsecht türtisch" bezeichnete. Wieder öffnete sich die Tür, und Herr Hauschild rief mit allen Zeichen des Erstaunens:Um Gottes willen, da ist ja ein Kollege!" Herein trat ein tiefschwarzer Neger, eine wahre Hünengestalt in der Uniform eines Kaimaknms. Er wnrde sofort eingekleidet und erhielt den Ehrenplatz in der Mitte der Reihe, von wo ans sein schwarzes Wollhaupt über alle andern hinwegragte. Nachher hörten wir, daß dieser fromme Kriegsmann jeden Donnerstag in Skutari und jeden Sonntag in Kassim-Pascha mit den Derwischen heule. Und warum auch nicht? Heult doch so mancher Christ sein ganzes Leben lang mit den Wölfen. Übrigens wirkte das gleichförmige Singen, Murmeln und Sichwiegen noch ein­schläfernder als die Predigt. Ich wollte eben vorschlagen, doch lieber zn gehn, da standen auf einen Wink des Scheiks plötzlich alle Andächtigen auf. Die Lammfelle wurden weggetragen, die Filzkappen abgenommen, geküßt nnd vor der Nische in einer Reihe aufgestellt. Unter ihnen trug, wie sich jetzt zeigte, jeder noch eine weiße leinene Mütze, die mit Sprüchen bestickt war. Darauf traten die Derwische von neuem in eine Reihe, deren Mittelpunkt wieder der schwarze Oberstleutnant bildete, und nun begann erst die eigentliche Heulerei. Was wir bisher gehört hatten, war nur das Vorspiel gewesen. Sie wiegten sich, beugten sich vor- und rückwärts, schmissen die Köpfe hin und her nud schrien unaufhörlich und mit lauten Stimmen: 1» il-ür (d. h.es gibt keinen Gott als Gott"), mit starkem Ton auf dem zweiten il. Zu den beiden Vorsängern gesellten sich noch zwei andre, der Gesang wurde lauter, lärmender, indem zwei in hohen, rasch wechselnden Läufen sangen, während die beiden andern einen tiefen (Äntus üimns hielten. Die Gesichter wurden immer verzerrter, die Bewegungen immer rascher und leidenschaftlicher, und das Geheul selbst immer wilder und unartikulierter. Es klang bald nur noch wie Halile^IiÄn McllÄulgu, und in dieser Form hat es sich meinem Gedächtnis unauslöschlich ein­geprägt. Bald troffen die frommen Henler von Schweiß, und ein Dnnst entwickelte sich, der wahrlich kein Vorgeruch des Paradieses war. Die heiligen Männer müssen, wenn sie in Eden eingehn, von den schönen Paradiesjnngfrauen erst ganz gehörig parfümiert werden. Einigen der zuschaueuden Damen wurde schlecht, sie ließen sich hinausführen, aber unsre Fran Oberstleutnant hielt mit gespannter Auf­merksamkeit aus. Bald tönten auch andre gellende Rufe , durch das Geschrei, ein lautes: Uu, lui, Ku! (Er"), und dann wieder aus der Mitte heraus ein wildes Hnrra!" so klaug es uns anfangs, es hieß aber durä-U (hierher").

Der Scheik stand mit krummer Nase und ehernem Gesicht, aus dem das Weiße des Auges nahezu faszinierend herausglänzte, wie ein Feldherr vor der tollen Schar und feuerte sie, wenn die Begeisterung nachzulassen schien, dnrch eine Bewegung des Armes oder ein Aufstampfen mit dem Fuße zu erneutem gottesdienstlichem Kraftgeheul an. Der Widerstreit des melodiösen Lanfgesanges und des grauen­vollen Geheuls wurde immer krasser, und gleich einer Eruption des Fanatismus übertönte beides in Pausen das wie Kmnpfgeschrei schmetternde buiMI Als der Tollste der Tollen gebärdete sich der schwarze Offizier; der fletschte die Zähne, weiße, bläkende, riesige Anthropophagenzähne, schmiß den Kopf hin und her, als wollte er ihn sich vom Halse werfen, und arbeitete mit dem Oberkörper und den Armen wie ein Elefant; der Schweiß floß ihn, in Strömen über Gesicht und Hals. Ich flüsterte meinem Nachbar nicht ohne Bosheit zu:Fragen Sie doch einmal beim nächsten Liebesmahl Ihren Herrn Kameraden, was er sich eigentlich bei diesem Rnmmel denkt." Der Oberstleutnant lächelte ablehnend.

Jetzt bemächtigte sich die Erregung auch der Zuschauer uns gegenüber auf der Estrade. Solche religiösen Wahnsinnsansbrüche haben ja immer eine mächtige