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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Kaiser, der kühn in neue Bahnen einzulenken liebt, wie verlautet, in den Jmmediatberichten unsre neue Orthographie verbeten hat, so sehe ich den Grund nicht darin, daß sie einige Neuerungen bringt, sondern daß sie darin viel zu zahm ist. Er soll ja selbst unsre bisherige Orthographie verspottet haben, die den Müller mit d, den Maler ohne Ii malen läßt, während sie nichts dagegen hat, wenn einer, Vor Gericht geladen, sich schwer geladen einfindet. Bloß der hohe Gerichtshof schreitet hier wegen Ungebühr ein.)
Gern hätte ich die obengenannten Einwände dem Pastor Olearius gemacht, wenn — ja wenn sie mir gerade eingefallen wären. Das ist eben das Ärgerliche, wenn man es mit einem redegewandten Gegner zu tun hat, daß einem die besten Gründe erst in dem Augenblick einfallen, wo man im Bette die vorletzte Vierteldrehung macht, um das Licht auszupusten. Dann hat man noch den zweiten Ärger, daß man im liebevollen Ausmalen der unfehlbaren Niederlage des Gegners natürlich den Anschluß im Einschlafen verpaßt. Kurz, ich war unhe daran, in dem unheimlich glatt dahinfließenden Redestrom des Olearius hilflos unterzugehn, wenn mir nicht der wackre Krischan einen rettenden Strohhalm zugeworfen hätte.
Sie haben doch Reuter gelesen, Herr Pastor? Da wird Ihnen die niederdeutsche Namensform Xrisenan für Olu'istian öfters begegnet sein.
Krischan! rief der Assessor, das ist ja der dösige Kutscher von dem dösigen Nüßler, der Käcirl, der deu Wageu umschmiß! Na, so einen mögen Sie meinetwegen Krischan nennen. Aber ein anständiger Mensch kann sich nur Christian schreiben. Stellen Sie sich einen hohen Herrn, einen Prinzen mit Namen Krischan vor! Einfach lächerlich! Sehen Sie die Norweger an, ein richtiges Bauernvolk. Sind ja einige tüchtige Leute darunter, zum Beispiel der Andre'.
Erlauben Sie mal, sagte der Kandidat, Andre' war doch ein Schwede.
Ach Gott, ich meinte ja Nansen. Übrigens, Schwede oder Norweger, das ist unter Kameraden ganz egal.
Unter diesen Kameraden nicht so ganz. Wenn Sie einen überzeugten Leser des Bayrischen Vaterlands als Preußen begrüßen wollten, oder einen Vollblutmagyaren als Österreicher, so würden Sie ungefähr dieselbe Gegenliebe ernten, wie mit Ihrer Anschauung bei den Schweden und den Norwegern.
(Schluß folgt)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel
Von auswärtiger Politik ist seit langem nicht mehr so viel die Rede gewesen wie seit dem Bekanntwerden der englisch-französischen Konvention und der Reise des Herrn Loubet nach Rom. Und doch stand diese Reise fest, noch bevor das italienische Königspaar in Paris erschien. Mit diesem Besuch in der französischen Hauptstadt war auch seine Erwiderung außer Zweifel. Als sie schließlich zur Ausführung kam, inmitten einer unstreitig gespanntern Weltlage, erhielt dieser Gegenbesuch seine eigentliche Bedeutung durch den Wegfall einer Begrüßung des Papstes und durch die diplomatischen Vorgänge, die sich daran anknüpften. Zumal nach der feierlichen Auffahrt des deutscheu Kaisers im Vatikan, ein Jahr vorher, beansprucht dieses Verhalten eines katholischen Oberhauptes eines katholischen Staates, der sich jahrhundertelang des Titels der ältesten Tochter der Kirche gerühmt und bis in die jüngste Zeit hinein den Schutz der Katholiken im nahen und im fernen Orient als sein traditionelles Recht vertreten hat, unverkennbar eine geschichtliche Bedeutung. Die antiklerikale Politik des französischen Kabinetts hatte eine solche Begrüßung unmöglich gemacht. Der Papst hätte Herrn Loubet kaum anders als mit Vor-