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Ein sonderbare Geschichte
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Eine sonderbare Geschichte

Ein Bild Von mir! rief er. Du lieber Himmel, da wird schwerlich was da sein. Ich will aber mal nachsehen.

Er kramte lange in seinem Schreibtische, bis sein Suchen mit Erfolg ge­krönt wurde.

Hier! Ich bin nämlich gar kein Freund vom Photographieren. Das kommt bei mir gleich nach dem Zahnausziehen. Also, stoßen Sie sich nicht daran, wenn mein Konterfei nicht ganz neu ist! Mir ist es besonders lieb und wert, weil es dem letzten Bilde, das ich von meinem seligen Vater habe, sehr ähnlich ist. Na, leben Sie wohl, und der liebe Gott behüte Sie! Einen schönen Gruß an die Eltern!

Nein, ganz neu war das Bild freilich nicht. Es mochte vielmehr aus der Zeit stammen, wo der Professor als frischbackner Hilfslehrer auf Freiersfüßen ein­herging, die ihn vor lauter Erwägungen der künftigen Haushaltbilanz nicht zum ersehnten Ziele führten. Denn das Bild wies einen leidlich schlanken Herrn auf, dem noch Haare lieblich flatterten da, wo beim leibhaftigen Professor die über­greifende Denkerstirn in einer bescheidnen Sardellensemmel verlief, und wenn ich Ihnen mit Hilfe des Bildes eine Vorstellung von meinem Professor geben wollte, so müßte ich bei jedem Zug und jedem Härchen eine Erklärung geben: Das müssen Sie sich so und so denken genau so, wie man bei der historischen Orthographie die Aussprache noch besonders lehren muß: Hier wird zwar Streichholz geschrieben, aber Kirchturm ausgesprochen. Würde es nicht rascher zum Ziele führen, gleich Kirchturm zu schreiben?

Ob ich mich daran stieß? Nun, lieber wäre es mir allerdings gewesen, ich hätte ein Bild bekommen, das den alten Herrn so darstellte, wie er mir im Leben nahe gestanden hatte. Leider hatte sich aber mein Professor nicht dazu entschlossen, einmal wieder zum Photographen zu gehn, wie sich die Anhänger der historischen Orthographie nicht zu dem Entschluß aufraffen können, Sprache nnd Schrift in Einklang zu bringen. Von den Franzosen wundert mich das eigentlich am aller­meisten, da sie ja sonst Neuerungen keineswegs abgeneigt sind.

Das sind sie allerdings nicht, sagte der Assessor. Politisch lauter Zappel­männer. Aller Paar Monate ein neues Ministerium, wie früher aller paar Monate eine neue Verfassung. Bei dieser Unbeständigkeit ist es kein Wunder, wenn von den Früchten der sogenannten großen Revolution so gut wie keine übrig ge­blieben ist.

Der Kandidat nahm sich der Franzosen an: Von diesen Früchten, die sich er­halten haben, möchte ich an eine erinnern, die nicht nur die Franzosen, sondern auch viele andre Völker, darunter wir Deutschen, froh genießen, ohne daß wir uns freilich immer recht bewußt werden, auf welchem Baume sie gewachsen ist. Ich meine das metrische Maß und Gewicht.

Ich gebe zu, sagte Olearius, daß dieses System eine große Erleichternng für Handel und Verkehr bedeutet. Aber, meine Herren, Sie müssen doch Ihrerseits eingestehn, daß bei unsern Altvordern, die nach Fuß und Elle, nach Lot und Quentchen rechneten, mehr Biederkeit, mehr Treue und Glauben in Handel und Wandel herrschten . . .

(Kandidat: lMäg,tor tswxori8 aeti!)

... als in unsrer Zeit der bequemen Verkehrsmittel und des vereinfachten Maßes und Gewichts, aber auch der Namschgeschäfte, der Bankkrache, der schnödesten Gewinnsucht und der krasfesten Rücksichtslosigkeit gegen den Nebenmenschen. So be­greife ich es vollkommen, wenn ein Volk, das an der Väter schlichten Sitten mit frommer Einfalt hängt, ein Volk, dem es nicht Lebensregel ist: Selber essen macht fett, ein Volk, dem erbarmungsloses Zertreten des schwachen Konkurrenten noch nicht oberster Geschäftsgrundsatz ist, ein Volk, dem es nicht das Höchste ist, das goldne Kalb anbetend zu umtanzen, wenn, sage ich, ein solches Voll Bedenken trägt, ein Maß- und Gewichtssystem bei sich einzuführen, das von den Pariser Götzendienern der Vernunft erfunden worden ist!