Beitrag 
Erinnerungen : Tagebuchblätter (1879) : (Fortsetzung)
Seite
648
Einzelbild herunterladen
 

643

Eine sonderbare Geschichte

zuerst an die Juden gerichteten beiden Aufforderungen legen sollen:Etwas be­scheidner und etwas toleranter!"

2V. Dezember. Graf Stolberg übergab mir mit sehr freundlichen Worten meine Bestallung als Geheimer Oberregierungsrat.

(Fortsetzung folgt)

Eine sonderbare Geschichte

(In einem alten Schreibtische, den einer unsrer Freunde auf einer Versteigerung erstanden hat, fand sich zwischen einem verquollenen Kasten und der Seitenwand ein stark zerknittertes Heft eingequetscht, das wir hiermit veröffentlichen.)

l s saß sich immer recht nett an unserm Tische bei Siechen Freitags zwischen sechs und acht. Aber seit kurzem ist durch den vr. Schreyer ein Mißklang in das Konzert unsers Gedankenaustausches gekommen. Der junge Mann, der in der Untertertia L seines Gymnasiums den Lehrauftrag des Französischen hatte, ist in die Provinz versetzt worden, ! und so mußte die auf dem Gebiete des Lateinischen und des Griechischen bewährte Lehrkraft des Dr. Schreyer in die französische Bresche springen. Das hat seine Laune nicht verbessert. Im Gegenteil! Aber heute, wo er verzweifelnd der Korrektur eines französischen Extemporales entlaufen war, erschien er ganz besonders geladen.

Ein trauriges Fach, dieses Französische! so legte er los. Die reine Tier­quälerei! Lieber Steine kloppen!

Na, hören Sie mal, Latein und Griechisch sind doch auch kein Kinderspiel!

Gewiß nicht, uud gerade weil die klassischen Sprachen schwierig sind, deswegen lassen wir unsre Jugend geistige Gymnastik an ihnen treiben. Jeder Dnrchschnitts- schüler lernt diese Schwierigkeiten überwinden, und wer sich nicht abgewöhnen will, iudsrs mit ut, zu setzen oder o //e^o?r?ro^e7os zu schreiben, nun, der mag meinetwegen für einen praktischen Beruf noch ganz brauchbar sein, aber aufs Gym­nasium gehört er nicht, für höhere Geistesbildung ist er nicht geschaffen. Beim Französischen dagegen muß sich ja in einem fort der gesunde Menschenverstand auf­bäumen; es will unsern: braven deutschen Gymnasiasten durchaus nicht in den Kopf, daß eine Sprache anders gesprochen als geschrieben wird. In tsnuruz spricht man das eine s wie das andre gar nicht; in s-imc-r stehen die zwei Buchstaben g.i für den einfachen Laut Z,, das r ist stumm! Und nun nehmen Sie Wörter wie cloißt, xoiäs, da ist ja kaum ein einziger Buchstabe vernünftig; A, t, d, s völlig überflüssig; oi schreibt man, aa spricht man!

Ich ließ mich durch seinen Zorn nicht einschüchtern.

Zunächst möchte ich Ihnen bemerken, daß man wohl richtiger sagt: Das Fran­zösische wird anders geschrieben als gesprochen, d. h. die Schrift gibt das gesprochne Wort nur mangelhaft wieder. Das ist aber leider bei den meisten Sprachen der Fall. Von Latein und Griechisch kann man eigentlich hier nicht gut reden, da uns keine Phonographischen Rollen aus dem Altertum erhalten sind, nach denen die Herren Philologen ihre Aussprache regeln könnten. So spricht denn jeder das Lateinische und das Griechische, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, gewöhnlich recht sehr mit den Eigentümlichkeiten seiner Landschaft. So sprechen Sie wehklagend Wisa! nach deutscher Art; einen Diphthongen, der in der Schrift mit dem hellen cz beginnt und mit dem dunkeln u endigt, lassen Sie mit einem dunkeln Laut, der zwischen a und o liegt, beginnen und mit einem hellen <z oder i endigen. Wenn Sie