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aber wird diese Symbolik da, wo in der größten Kampfstunde seines Lebens Heinrich den Heiland neben sich fühlt. „Als stünde wirklich jemand vor mir, wehrte ich mit den Händen ab. . . . Ich reckte mich empor, und mir wurde feierlich ums Herz, als ich nun in die Finsternis hinaussprach zu dem, den ich nicht sah, und von dessen Gerechtigkeit ich mich doch bedrängt wußte." In dieser Stunde ficht Heinrich den Kampf zwischen den zwei Seelen endgiltig aus, und alles andre ist nur noch Erfüllung dessen, was werden mußte.
Zwei Seelen. Nicht als Schmuck und Lockung, nicht als Verlegenheitstitel trägt die Dichtung diese Überschrift. Zuerst ahnen wir mehr den Zwiespalt in Heinrichs Jnnerm, als daß er ihm zum Bewußtsein kommt. Wie es Menschen geben soll, die früh schon in eines andern Augen den Tod stehn sehen, so läßt der Dichter uns Wissende werden, ehe noch seine Gestalten selbst ihr Schicksal kennen. Er erzählt uns nicht von ihnen, aber er läßt sie kommen und gehn, wir möchten schon ihre Hände greifen und rufen: Halt! Sie aber eilen weiter, wie sie im Leben vorübereilen, bis die Schicksalsstunde schlägt, wo anch sie selbst empfinden: Wohin treiben wir, und was treibt uns? In solcher Stunde erkennt sich Heinrich zum erstenmal: „Zwei Seelen! Die eine schaute auf zu himmlischen Höhen, über denen mein Stern stand und so wundersam leuchtete. Und die andre wälzte sich hier im Kote! Sie haben sich immer im Wege gestanden, diese beiden Seelen, nnd sich gegenseitig verwirrt, und sie haben mir durch ihre gegensätzlichen Kräfte jedes Gelingen vereitelt, im Guten und im Bösen." Was Heinrich dann gelingt, als er den guten Kampf in sich ausgekämpft hat, ist freilich äußerlich so schwer, heischt so viel Entsagung und Überwindung, daß es schier über natürliche, schwache Menschenkraft geht. Und da ist es Specks große Kunst, dieses Ende so vorzubereiten, daß es, wie ich schon sagte, nur noch als die sozusagen gesetzmäßige, selbstverständliche Erfüllung erscheint. Der Streit im Herzen ist aus, Gott selbst ist zur Seite gestanden, wie es im Niederländischen Dankgebet heißt, und wie vorbedachte alltägliche Arbeit verrichtet der Sieger über sich selbst das, was doch so unsagbar schwer ist- Auch hier wieder eine tiefe und doch wie selbstverständlich angewandte Symbolik: ein Hauch von unschuldigen Kinderlippen ist das letzte, was er mit sich nimmt.
Was für Bilder findet dieser Kämpfer bei der Rückschau auf sein Leben! "Wenn ich jetzt auf diese Zeit zurückschaue, so sehe ich auf ein Bild ohne feste Formen, es versließt alles in einem Dämmerschein und schwimmt durcheinander, ein Nebelbild an einem Novembertag, ein stilles, ödes Gewässer, und darüber eine weite, graue, wolkige Fläche, in die die Phantasie so gern die kühnen und kräftigen Linien eines aufsteigenden Gebirges einzeichnen möchte." Es ringt in Heinrich nach einem Entschlüsse, aber die „von Traumluft eingehüllte Seele" kann sich nicht von der Stelle regen, sondern „zittert nur wie das in einen Spinnenfaden verwickelte Insekt leise hin und her." „Ich sann — so heißts gegen das Ende hin — oft darüber nach, wie es doch komme, daß ich wohl immer Augen für das Licht gehabt hatte, worin die Höhen der Erde leuchteten, während ich an dem Lichte, das über die Höhen der Menschheit wandelte, blind vorübergegangen war. Es rinnen stille Wasser, Tropfen auf Tropfen fällt
Grenz boten II 1904 45