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Lhristus und die Gegenwart
„Vorüber ist die Zeit der Kindheit, so schildert Hans Richert diese Periode, vorüber die Zeit der Unschuld und des Glücks, das Paradies des Lebens, auf das wir unsern ganzen übrigen Lebensweg sehnsüchtig zurückschauen. Die Welt im Morgenglanze des Lebens schimmert vor uns in zauberischer Pracht. Aber der unschuldige, klare Blick des Kindes, an dem wir uns vormals erquickt haben, hat eine Trübung erfahren. Das Triebleben mit seinen immer stärker werdenden Impulsen, das Wollen und Wünschen regt sich, es gaukelt der Jugend Bilder eines geträumten, unbestimmten Glücks vor. Es beginnt eine Zeit des Unbesriedigtseins, der Leerheit. Die Phantasie geht auf Abwege, sie führt an Abgründe, sie bringt zu Fall. Eine dunkle Welt verborgner Übel, die von Scham und Reue begleitet, mit Schuldgefühl belastet sind, hat das Paradies der Kindheit verdrängt." Der Ruf nach Erlösung aus jungem Munde hat etwas besonders Ergreifendes. Welche furchtbare Macht ist es um die Sünde, daß sie so bald nach der Kindheit holden Tagen ihr zerstörend Werk beginnt! Jetzt muß sich das Christentum als Lebensmacht, als Gotteskraft erweisen. Mit bloßen Gefühlen und Kenntnissen ist da nichts ausgerichtet. „Die Geschichtlichkeit, die Wirklichkeit, der persönliche Charakter, der unerschöpfliche Gedankenreichtum, die Kraftfülle des christlichen Glaubens muß jetzt der Jugend zum Bewußtsein kommen, und zugleich die Empfindung, daß das Evangelium selbst eine kcimhafte, schöpferische Kraft für das innere Leben besitzt, derart, daß, wer auch nur etwas davon in vollem Ernst sich im Herzen und Gewissen aneignet, die Entfaltung der christlichen Religiosität ganz von selbst erlebt" (Bornemann). Eigne christliche Überzeugung und Lcbeusführung ist das Resultat geschickter Fuhrung. Christo- zentrisch muß im letzten Grunde jede Unterweisung im Christentum sein. Wir können Gott nur in Christus erkenuen. Christus muß der Zentralpunkt des Unterrichts werden. Er ist nun einmal die Lichtquelle, die Zentralsonne der ganzen Schrift. Jesus muß der Jugend allzeit recht warm, recht reich, recht tief vor die Augen gemalt werden. Es genügt nicht, nur zurückzugreifen auf seiu Leben und Leiden, Sterben und Siegen. Nein, er muß als der ewig Lebende, immer Gegenwärtige, Welt und Kirche durchwaltcude Herr den Hörern vorgeführt werden. Er darf nicht nur obenhin verglichen werden mit den Größen, die der Welt imponieren; er muß vielmehr iu seiner unerreichten Erhabenheit, in seiner unvergleichlichen Großartigkeit hingestellt werden. Und vor allem: aus den Augen des Erziehers sollte es widerstrahlen, aus seinem Leben und Wirken muß es hcrausleuchteu: Jesus ist unser Herr! Weg mit aller religionslosen Moral, die wissenschaftliche Lehrgebäude konstruieren mag, aber niemals starke Impulse zum moralischen Handeln mitteilen kann. Es bleibt bei Paulsens schönem Wort: „Es sind in jüngster Zeit allerhand Erzieher empfohlen worden, Schopenhauer, Nembrandt und andre; ich würde sngeu: es kann nur heißen: Jesus als Erzieher unsers Volks uud Erzieher der Menschheit!"
Wir sind zu Eude mit unserm Streifzug.
Es geht durch die ganze Menschheit ein Sehnen nach Erlösung. Auch nnscr Geschlecht weiß davon. Ja gerade die vielen geistigen Strömungen der