Oentschtmn und St-mtsverfassmig in Hsterreich
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müssen; freilich ein Gutes hatte das System: man konnte ungestraft ein Deutscher sein." — Die demokratische Überzeugung gebietet, den 13. März 1848 als den großen Tag, den Geburtstag des neuen Österreichs, zu feiern; aber der Historiker bemerkt einschränkend, daß auch die Zeiten unter Metternich nicht schlecht waren, und seufzend klagt der Deutsche: Damals konnte ich wenigstens ungestraft ein Deutscher sein! — In der knappsten Form wird hier der tiefe innere Zwiespalt skizziert, woran die Politik der Deutschen Österreichs seit einem halben Jahrhundert leidet. Für Freiheit und Gleichheit begeistert machten sie eine große Revolution, überwanden einen absolutistischen Rückfall, gaben dem Staate eine „freiheitliche" Verfassung, setzten ihre ganze Kraft an ihre Erhaltung und müssen sich nach fünfundfünfzig Jahren Liberalismus sagen, daß sichs unter dem „System Metternich," das sie gestürzt hatten, für die Deutschen hatte besser leben lassen! Noch vor zehn Jahren hätte kein deutsches liberales Blatt in Österreich einer solchen Betrachtung Raum gegeben, aber in dem deutschen Geist in Österreich vollzieht sich eine mächtige Wandlung. Vorerst durchzittert die gläubige demokratische Gemeinde nur die elegische Klage, daß die „Konstitution" den Deutschen nicht das gebracht habe, was sie von ihr erhofft hatten; demokratische Überzeugungen und liberale Vorurteile ringen noch mit dem nationalen Empfinden; aber durch jahrzehntelange bittere Erfahrungen geschärft, gewinnt es von Tag zu Tag mehr Einfluß auf die politische Haltung des deutschen Volkes in Österreich, das noch Lebenskraft genug hat, eine teuer genug erkaufte Erkenntnis in praktische Politik umzusetzen.
Bis zum Jahre 1848 wurde Österreich in streng absolutistischen Formen mit entschieden deutschem Gepräge regiert. Absolutismus und Germanisation ergänzten einander politisch. Der Absolutismus hatte das natürliche Bedürfnis, den bunt zusammengewürfelten Völkerstaat zu vereinheitlichen, und er konnte das nur, indem er den deutschen Charakter annahm, als den des historisch bedeutendsten und in der Kultur fortgeschrittensten Stammes in der Monarchie, nicht zu vergessen der Rücksicht auf die Stellung und die Pläue des Hauses Habsburg iu Deutschland. Politisch genommen erschien das absolutistische Österreich als ein deutscher Staat. Leider übersahen die Deutschen fast vollständig den ursächlichen Zusammenhang zwischen den absolutistischen Formen des vormärzlichen Österreich nnd seinem deutschen Gepräge; sie hielten die deutsche Vorherrschaft in Österreich als etwas für alle Zeiten und unter allen Umständen selbstverständliches nnd gelangten dadurch zu eiuer durchaus falschen Auffassung ihrer Stellung im Staate, aus der sich in weiterer Folge alle andern Irrtümer ihrer Politik und ihre seltsamen Widersprüche entwickelten. Heute macht es allerdings einen komischen Eindruck, wenn die liberalsten der Deutschliberalen von der führenden historischen Stellung des Deutschtums in Österreich deklamiere», ohne auch nur im entferntesten daran zu denken, daß diese bevorzugte historische Stellung im wesentlichen ans dem von ihnen so verabscheuten Absolutismus beruhte. Jedoch im Jahre 1848 dachte unter den Deutschen niemand daran, die Frage der politischen Reformen von einem andern Standpunkt als dem rein demokratischen zu betrachten. Damit begann die unglückselige demokratische Prinzipienpolitik, die durchaus undeutsch und schädlich für das Deutschtum in Österreich war, weil sie des nationalen In-