Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien
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dieses Fest am 20, November 1899, am Geburtstage der Königin Marghcrita und in ihrer Gegenwart statt; fünftausend Schüler und Schülerinnen rückten dazu mit Fahnen und Musik vom Laternnplatze in die Campagna aus und pflanzten dort an der Aqua Claudia fünfhundert Bäume. Anderwärts begnügte man sich mit eiuzelucn Bäumen, aber die Zeitungen berichteten ausführlich darüber und im ganzen mit Sympathie. Es wäre wünschenswert, daß der Brauch auch uach dem Rücktritt Baccellis fortdauerte.
Zu andern Meliorationen hat die Regierung namentlich durch Ent- sumpfungsarbeiten kräftiger die Hand geboten, so an der Tibermünduug und in den toskanischen Maremmen, deren Bebauung in den letzten fünf Jahren sichtbar zugenommen hat. Andres leisten einzelne einsichtige und kapitalkräftige Grundbesitzer. So hat der Fürst Torlonia iu Rom als Rechtsnachfolger einer Aktiengesellschaft mit einein Kostenaufwcmde von 35 Millionen Lire den ungeheuern Kessel des Fueinersees in den Abruzzen, dessen Austrocknung schon die erste römische Kaiserzeit versucht hatte, eine Flüche von 145 Quadratkilometern, in fruchtbares Ackerland verwandelt und an Bauern ausgethan oder verpachtet. Auch in der römischen Campagna sind einzelne Güter zu intensiverer Bewirtschaftung übergegangen, wie der dem Herzog von Salviati gehörige Pachthof (wuuw) Cervelletta durch lombardische Landwirte. Ein besondres Beispiel einer Musterwirtschaft bietet das Grvßgut des Grafcu Eugenio Fama, San Vencmzo bei Orvieto, ein Besitz von 5300 Hektaren Umfaug, zu ^/g Wald, zu i/s Ackerboden. Mit einein Aufwcinde von 322000 Liren von 1882 bis 1897 steigerte Graf Faiua den Wert seines Besitzes von 845000 Liren auf mehr als 3 Millionen Liren durch Meliorationen der verschiedensten Art, einschließlich von Straßen und Wasserleitungen, und sorgte dabei für seine Tcilbauern (volorn WkWaäri), deren Lage noch vor zwanzig Jahren erbärmlich war, derart, daß sie jetzt gut leben, Ersparnisse machen und zu ihrem Herrn im besten Verhältnis stehn. Auf Sizilien war Graf Lucio Tasea (1- 1892) bei Palermo einer der tüchtigsten und thätigsten Landwirte.
Zuweilen freilich legt bureankratischer Schlendrian wohlgemeinten Absichten unüberwindliche Hindernisse in den Weg. So ließ ein Großbesitzer bei Terracina eine ausgedehnte Fläche für die Besiedlung durch kleiue Bauern vorbereiten, die ihre Stellen durch Arbeit für ihn und durch Abzahlung allmählich als Eigentum erwerben sollten, und bemühte sich persönlich bei den Auswanderungsagenturen, um Leute, die über See zu ziehn gedachten, für sich zu gewinnen und so ihrem Vaterlcmdc zu erhalten. Die Regierung aber legte ihm so schwere Steuern auf, daß er das Projekt fallen lassen mußte. Immerhin zeigen diese Beispiele, daß sich die italienischen Großeigentümer, die größtenteils dem alten Adel des Landes angehören, ihrer wirtschaftlichen und sozialen Pflichten bewußt zu werdeu beginnen, wie sie Graf Faina bezeichnet hat: „Es ist eine moralische Pflicht, eine soziale Notwendigkeit, daß die Landeigentümer ihr Eigentum in einer Weise benutzen, durch die das Privatinteresse mit dem öffentlichen Wohl in Einklang gebracht wird, nnd dieses edle Ziel kann nur erreicht werden, wenn sich Grenzboten IV 1900 64